Gefährtin Der Finsternis
konnte Isabel unmittelbar jenseits der dicken Erdmauer seines Zimmers im Arbeitszimmer mit Orlando reden hören. Hätte er seine Dämonensinne strapaziert, hätte er ihre Worte wahrscheinlich verstehen können. Aber die Sonne stieg mit jedem Moment höher, und bevor er einschlief, wollte er noch etwas anderes tun.
Er füllte ein tiefes Zinnbecken mit Wasser aus dem Wasserkrug, den Isabels Dienstboten für ihn dagelassen hatten. Das Wasser war noch warm. Er zog das zerrissene Gewand aus, das Orlando von Pater Colin für ihn gestohlen hatte, wusch sich rasch, tauchte seinen gesamten Kopf in das Becken und schüttelte sich das Wasser aus den Haaren wie ein Hund. Die guten Seelen, die diesen Raum gerichtet hatten, waren so freundlich gewesen, ihm auch ein Rasiermesser und einen Spiegel dazulassen. Er betrachtete sein Spiegelbild und verzog das Gesicht, entblößte die kleinen Eckzähne, die sein wahres Wesen verrieten, selbst wenn er schlief. Einige der Texte, die er auf seiner Suche gelesen hatte, behaupteten beharrlich, ein Vampir wäre im Spiegel nicht sichtbar, aber das war Unsinn. Er konnte sich nur zu deutlich sehen.
Er berührte die kleine blau-weiße Narbe an seiner Kehle. Er hegte diese Narbe, die er sich bei einem Handgemenge in einer Taverne in Damaskus zugezogen hatte, eine Wunde, die in der Nacht, in der er der Dunkelheit anheim gefallen war, kaum verheilt war. Ein Dieb hatte versucht, ihn wegen seiner Geldbörse zu töten, und hätte wahrscheinlich Erfolg gehabt, wenn Sascha nicht dort gewesen wäre, um ihn zu retten. Sascha … sein erstes Opfer als Vampir.
Er zog sich die Rasierklinge übers Handgelenk und zuckte bei dem Schmerz etwas zusammen. Geborgtes Blut drang einen Moment in die Wunde, das Blut der toten Franzosen von der Kapelle, das noch in seinen Adern floss. Aber die Haut begann, von allein zu heilen, bevor der erste Tropfen noch vollständig aus dem Schnitt rinnen konnte, und die Ränder fügten sich mit einem leisen Zischen wie Wasser auf heißen Kohlen wieder zusammen, ein so leises Geräusch, dass kein Sterblicher es hören könnte. Das Geräusch des Teufels, der die Seinen heilt.
Er spülte die Rasierklinge im Becken ab und rasierte sich gerade den Drei-Tage-Bart ab, als Orlandos Stimme sich näherte, zwei Paar Schritte auf die Treppe zukamen. Er erwartete, dass sich der Zwerg zu ihm gesellen würde, aber sie gingen zusammen weiter, ihre Stimmen verklangen, als sie die Kellertür hinter sich schlossen.
»Also bin ich verlassen«, murmelte er mit verzerrtem Lächeln. Er erblickte erneut sein Gesicht im Spiegel, die Maske eines Menschen, der sein wahres, verfluchtes Selbst verbarg. »Ich wünschte, ich könnte mich auch verlassen.« Er verbannte den Gedanken mühsam, beendete seine Rasur und legte seine restliche Kleidung ab. Er hielt den Waffenrock, der für ihn bereitgelegt worden war, an sein Gesicht, wie Isabel es getan hatte; die Süße ihres Duftes war noch immer in dem Stoff wahrnehmbar. Was hatte sie gedacht?, fragte er sich erneut.
»Welchen Unterschied macht das?« Er legte den Waffenrock für später beiseite, sank aufs Bett und ließ sich schließlich vom Schlaf übermannen.
Isabel beobachtete, wie Orlando ein Frühstück für einen drei Mal so großen Mann verschlang, ohne sich die Mühe zu machen, ihr Lächeln zu verbergen. »Ich bin froh zu sehen, dass das Essen in Charmot Eure Zustimmung findet, Meister Zauberer«, sagte sie und aß selbst auch etwas. »Auch wenn das für die Gesellschaft nicht gilt.«
»Die Gesellschaft ist bezaubernd«, protestierte er und hielt inne, um sie, offensichtlich bestürzt, anzusehen. »Warum meint Ihr, ich würde sie nicht zu schätzen wissen, Mylady?«
»Vielleicht irre ich mich.« Sie nickte Hannah zu, die hinausging, um eine weitere Servierplatte zu holen. »Sowohl mein Dienstmädchen als auch ich selbst hatten zuvor den Eindruck, dass Ihr die Anwesenheit junger Ladys als eher lästig empfindet.«
»Nein, dem ist nicht so«, wandte er lächelnd ein. »Als verwirrend, vielleicht, aber niemals als lästig.« Er füllte seinen Becher erneut. »Ich fürchte, Ihr könnt durch meine Person sehr gekränkt werden, solange wir hier sind, Lady Isabel, und auch durch meinen Herrn. Wir haben schon eine ganze Weile nicht mehr unter zivilisierten Menschen gelebt.«
»Das hatte ich bereits vermutet.« Sie reichte ihm eine weitere Scheibe Brot mit Butter. »Ich würde Euch fragen, wo Ihr wart, aber ich weiß, dass Ihr es mir nicht sagen
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