Gefährtin Der Finsternis
heruntergefallene Tablett wieder aufzuheben. »Wo sind alle anderen?«, fragte er. Er hatte bereits im Hof und in den Ställen gesucht, ohne eine Menschenseele zu finden.
»Was kümmert es Euch?«, blaffte sie und kratzte mit einer halbmondförmigen Scherbe einen Flecken Eintopf auf. »Was tut Ihr überhaupt hier oben?«
»Lasst mich Euch helfen.« Er beugte sich hinab, um die Flasche aufzuheben, aus der sich Wein in die Binsen ergoss. Sie schlug seine Hand fort und schnitt sich dabei an einer weiteren Scherbe der zerbrochenen Schale in die Hand.
»Mist!«, fluchte sie und warf die Scherbe, die sie noch in der Hand hielt, durch den halben Raum. Seine Augen weiteten sich, und sie war froh. Sie hoffte, er würde vor Schreck in Ohnmacht fallen. Sie war es unendlich leid, höflich zu ihm zu sein. Plötzlich fühlte es sich so an, als wäre jeglicher Groll, den sie empfand, seine Schuld, so ungerecht das gewiss auch sein musste. Aber sie war nicht in der Stimmung, vernünftig zu sein.
»Verzeiht.« Er erhob sich langsam, löste den Blick mühsam von der Wunde in ihrer Handfläche. Er schloss die Augen, und der jähe Duft ihres Blutes machte ihn trunken.
»Sie sind zum Druidenhain gegangen, zum Tanz in den Mai.« Sie riss sich ihr Tuch vom Kopf und verknotete es um ihre Hand, so gut sie konnte, da ihr fahrender Ritter kein Interesse daran zu haben schien, ihr zu helfen. Der große Wolfstöter von Charmot wirkte vielmehr, als könnte ihm jeden Moment übel werden. »Hier oben unter den Lebenden war heute der erste Mai.«
Simon sah sie entsetzt an, aber sie räumte weiter das von ihr verursachte Chaos auf und war sich dabei nicht bewusst, wie genau ihr Pfeil sein Ziel getroffen hatte. »Warum seid Ihr nicht hingegangen?«
»Weil ich nicht kann.« Sie hob das Tablett auf und eilte zur Küche, Simon folgte ihr. »Der Tanz in den Mai ist ein Bauernfest.« Sie leerte das Tablett in die Abfalltonne, zog dann ihre verdorbene Schürze aus und warf sie ebenfalls hinein. »Und ich bin die Herrin von Charmot.« Sie bemerkte ihr Bild in dem Spiegel, den Susannah auf dem Tisch zurückgelassen hatte. »Allem Anschein zum Trotz«, murrte sie und legte ihn mit dem Glas nach unten beiseite.
»Und das macht solch einen Unterschied?«, fragte Simon. »Daheim in Irland hatten wir auch Maitänze, und der Herzog und seine Ritter schämten sich nicht, daran teilzunehmen.«
»Der Herzog und seine Ritter waren vermutlich Männer. Ich bin eine Frau.« Sie füllte eine Schüssel mit Wasser und löste den Behelfsverband um ihre verletzte Hand. »Verzeiht. Ich dachte, das hättet Ihr bemerkt.«
»Das habe ich in der Tat«, antwortete er und lächelte über ihren Sarkasmus.
»Ihr habt es bemerkt, aber Ihr versteht nicht.« Der leichte Schnitt hatte bereits aufgehört zu bluten, aber er schmerzte, als sie ihn dennoch wusch und ihrem bereits schwelenden Zorn damit noch mehr Nahrung gab. »Das Vermächtnis meines Vaters ist von meinem Ansehen abhängig. Wenn mein Verhalten nicht in jedem Moment untadelig ist, könnten Charmot und alles, was er hier aufgebaut hat, verloren sein.«
»Hat Euer Vater Euch das gesagt?«, fragte Simon und beobachtete ihr Gesicht, als sie antwortete, wobei ihre Miene mehr verriet als ihre Worte. Sie war zornig, aber sie war auch verletzt.
»Das musste mir niemand sagen, Simon«, erwiderte sie. »Ich bin keine Närrin. Dieses Schloss hat keinen Lord, keinen Herrn, schon seit zehn Jahren nicht mehr, und der König hat, aus welchem Grund auch immer, beschlossen, es sich anzueignen. Der einzige Grund, warum er immer wieder Ritter geschickt hat, um es im direkten Kampf einzufordern, anstatt Truppen zu schicken, um es zu belagern, ist der, dass ich hier bin, eine adelige, junge Frau mit gutem Ruf und mit einem Blutsanspruch auf das Gut. Ich bin die Herrin von Charmot.« So hatte sie noch nie mit jemandem gesprochen, nicht einmal mit Brautus, aber tatsächlich war es die größte Wahrheit ihres Lebens, und sie wusste das nur allzu gut. »Wäre ich nur ein Bauernmädchen, das in einem heidnischen Druidenhain tanzt, dann brauchte sich der König meinetwegen nicht zu beunruhigen und Charmot wäre nur eine leere Festung, reif zum Pflücken. Und mein Vater …« Sie brach ab und wandte sich ab. »Niemand muss mir sagen, wie ich mich verhalten soll, Simon«, schloss sie und leerte die Schüssel aus. »Ich bin kein Kind mehr.«
»Nein«, sagte er liebevoll, durch ihre Worte stärker berührt, als er zugeben mochte. Er wollte ihre
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