Gefaelschtes Gedaechtnis
praktisch auf gut Glück hin.«
»Es sei denn, du hast eine bessere Idee«, pflichtete er bei und öffnete die Balkontür, um die frische kalte Luft hereinzulassen — denn im Zimmer war es plötzlich ziemlich warm geworden.
Sie fing seinen Blick auf, sah ihm eine Spur zu lange in die Augen und reckte sich dann erneut träge, streckte die Beine und bog die Füße, hob die ineinander verschlungenen Hände über den Kopf. Sie drückte den Rücken durch, zeigte ihren Körper, öffnete sich für ihn.
McBride stöhnte innerlich auf, erhob sich und trat auf den Balkon.
Den ganzen Tag schon war er sich ihrer bewusst gewesen, sehnsüchtig verträumt wie ein Teenager. Immer wieder im Laufe des Tages — selbst in Shapiros spartanischer Hütte, selbst in der Trostlosigkeit, die der Wissenschaftler mit seinenentsetzlichen Geschichten verbreitet hatte, selbst angesichts der schrecklichen Nachricht von Ray Shaws Tod — hatte er die quälenden Erregungszustände durchlitten, die ihm in der High School oft das Leben schwer machten.
Vom Balkon aus schaute er hinunter auf die Lichter der Autos und dachte: Wann war ich zuletzt mit einer Frau im Bett? Er wusste es nicht — seine Erinnerung kam noch immer nur in kleinen Häppchen zurück, in aufblitzenden Bildern. Aber es war vor Jeffrey Duran gewesen — da war er sich sicher.
Also was nun?
Adrienne war eine tolle Frau, so viel stand fest. Aber es stand ebenfalls fest, dass Lew McBride so ziemlich das Letzte war, was sie brauchte. Sie hatte schon ihre Schwester verloren und ihren Job und hätte um Haaresbreite ihr Leben verloren — und für das alles war er verantwortlich. Es wäre nicht richtig, wenn er ihre gemeinsame verzweifelte Situation ausnutzen würde, in die sie zufällig geraten waren. Und trotzdem ...
Es war unnatürlich, im selben Zimmer zu schlafen und Distanz zu wahren. Es liegt in der Natur des Menschen, sagte er sich, stritt mit seinem Gewissen. Sie beide hatten einiges zusammen durchgemacht, und es ging nicht bloß um Sex — er mochte sie wirklich. Sie war klug und attraktiv, lustig und verletzlich. Das mit ihnen jetzt war das Gleiche wie das, was in Kriegen und bei Naturkatastrophen passierte, die Menschen suchten die körperliche Nähe. Also warum dagegen ankämpfen? Wieso gehst du nicht einfach ... aufs Ganze?
Aber es war zu spät — und wenn nicht zu spät, so zumindest verschoben. Die Kälte hatte Wirkung gezeigt, und er ging zurück ins Zimmer, wie nach einer kalten Dusche. Adrienne saß noch immer auf dem Bett und las eine Hotelbroschüre über Harper's Ferry und Umgebung. Sie blickte unter dichten, dunklen Wimpern zu ihm hoch — ein Killerblick, die Augen verführerisch und einladend. Sie setzte sich bequemer hin, mit fließenden Bewegungen, sodass er sich unwillkürlich ausmalte, wie ihr Körper sich bewegen würde, ohne Kleidung.
»Sterne geguckt?«
Seine Augen wanderten zur Decke. »Nein«, sagte er. »Ich habe nachgedacht.« Er lachte. »Frag lieber nicht, worüber.«
Sie machte ein leises Geräusch in der Kehle, und er musste all seine Willenskraft aufbieten, damit er sich nicht einfach auf sie warf. Ein Hechtsprung in ihre tiefsten Tiefen.
Stattdessen sagte er: »Ich denke, ich nehme die Couch.«
Sie nickte, zog die Knie an die Brust und umschlang sie mit den Armen. Jetzt ganz in sich verschlossen. Der Heizkörper tickte in dem heißen Zimmer. Nach einer scheinbaren Ewigkeit seufzte sie und lächelte übers ganze Gesicht. »Schön«, sagte sie.
Es war eine lange Fahrt, und sie wechselten sich am Steuer ab, fuhren den ganzen nächsten Tag und kamen erst am späten Abend an. Sie nahmen sich ein Zweibettzimmer in einem Super 8. Adrienne waren ihre neu erwachten Gefühle richtig peinlich. Nie hätte sie gedacht, dass ihr Körper zu solch pubertären sinnlichen Begierden fähig wäre.
Am nächsten Morgen suchten sie das Verwaltungsbüro von La Resort auf, wo eine sonnengebräunte Blondine ihnen mitteilte, dass Calvin Ceanes Wohnung schon vor Wochen geräumt worden war. Die Wohnung selbst — drei Schlafzimmer, Meerblick, mit allen Schikanen — stand zum Verkauf. Hatten sie Interesse?
Nein.
Auf dem Rückweg hielten sie an, um beim Lunch ihren nächsten Schritt zu besprechen: ein Besuch im Gericht in Bradenton, wo sie so gut wie nichts erreichten. Crane hatte mit niemandem im Rechtsstreit gelegen, zumindest nicht in der Manatee County. Und sein Testament war nicht so interessant, wie sie gehofft hatten. Die Hälfte seines Vermögens
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