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Gefaelschtes Gedaechtnis

Titel: Gefaelschtes Gedaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John F. Case
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kleinlauten, jämmerlichen Tonfall an: »Aber ich bin doch nur für zwei Tage in Zürich.«
    »Nicht auf die Mitleidstour«, riet er ihr. »Denen entgeht was, nicht dir. Also noch mal, wie heißt der Stipendiat?«
    »Eric Branch.« Adrienne nahm eine Bürste vom Nachttisch und fuhr sich damit durchs Haar. »Eines noch: Was ist, wenn — was ist, wenn sie sagen: Kein Problem — Mr. Opdahl wird Sie gleich empfangen? Was dann?«
    »Dann machst du, dass du wegkommst.«
    »Aber —«
    »Geh ja nicht mit ihm nach oben«, sagte er. 
    »Wieso nicht? Vielleicht...
«
    Er schüttelte den Kopf. »Versprich es ...«
    Im Zug umklammerte McBride den Karton »Gardinenstangen«, während Adrienne verkrampft dasaß. An fast jeder Haltestelle ließ die Ziehharmonikatür einen arktischen Luftzug und einige rotgesichtige Fahrgäste herein. Die Leute, die um diese Tageszeit die Bahn benutzten, waren eine merkwürdige Mischung aus älteren. Menschen, Männern, die von der Arbeit kamen und nach Nikotin rochen, sowie gut gekleideten Frauen mit Einkaufstaschen. An einer Station kletterte eine Schar aufgedrehter Kinder an Bord.
    Die Lebhaftigkeit der Kinder wirkte wie das genaue Gegenteil von McBrides düsterer Stimmung, die immer düsterer wurde. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto größer wurde seine Sorge, dass ihr Unternehmen von vornherein zum Scheitern verurteilt war — dass sie zu der Adresse kommen würden und das Institut nicht da wäre. Dass sie stattdessen vor einem leeren Grundstück stehen würden. Genau das war in Bethany Beach passiert, und dieses Kommen und Gehen seiner Erinnerungen ließ ihn an der Realität seiner Vergangenheit zweifeln.
    »Was ist?«, fragte Adrienne, doch er schüttelte bloß den Kopf und schaute weg.
    Er hatte gedacht, er hätte das alles hinter sich, diese Sorgen wegen seiner Erinnerung, wegen dem, was real war und was nicht. Er hatte gedacht, es wäre alles klar. Er war Lew McBride und basta. Nur, dem war nicht so. Es würde nie so sein. Und das hatte Opdahl ihm genommen.
    Ihre Haltestelle wurde durchgesagt, und die Bahn verlangsamte das Tempo. Er konnte die Station bereits erkennen, den breiten Bahnsteig, das Plexiglaswartehäuschen mit den Bänken, ein paar wartende Leute. Kinder verabschiedeten sich rufend voneinander, standen auf, bildeten eine Schlange im Gang. McBride schaute sich die Reihe von Stadthäusern an — irgendwas kam ihm bekannt vor, obwohl er nicht sagen konnte, was. »Hier ist es«, sagte er zu Adrienne, stand auf und drückte den Knopf, der die Tür der Bahn öffnete. Dann waren sie draußen, und er fragte sich, ob die ganze Reise nicht ein schrecklicher Fehler war.
    Die Häuser auf beiden Straßenseiten waren verwittert und alt, Villen und villenähnliche Gebäude von Schweizer Industriellen, Bankiers, Anwälten und Steuerflüchtlingen. Vor jedem Haus trotzten einige Platanen der Kälte und warteten auf den Frühling.
    Adrienne und McBride senkten den Kopf gegen den Wind, der vom See heranfegte, es schneite leicht, und Schneeflocken stoben wie Funken durch die Luft.
    Nach drei Querstraßen kamen sie zu einer Straßenbiegung. Mit jedem Schritt hatte McBride mehr das Gefühl, dass sich ihm die Brust zusammenschnürte. Er befahl sich zu atmen, nur zu atmen, aber wie sollte er? Wie ein Gewichtheber nach mehreren Trainingseinheiten atmete er überhaupt nicht mehr, versuchte, es nur noch hinter sich zu bringen. Entweder würde das Institut da sein oder nicht. Es war, als hinge sein Verstand davon ab.
    Und dann sah er es — genau so, wie er es in Erinnerung hatte: ein dreistöckiges Granitgebäude, Fenster mit Mittelpfosten, Blumenkästen, die jetzt mit Wacholder und Immergrün bepflanzt waren. Die schwere Tür mit dem Löwenkopfklopfer. Das Oberlicht aus Bleiglas. Das kleine Messingschild mit dem Namen des Instituts darauf und die Überwachungskamera an der Fassade. Instinktiv blieb er auf der anderen Straßenseite, wo die Kamera sie nicht erfassen konnte.
    Das ungute Gefühl, das ihn gepackt hatte, wurde unerträglich. Mit einem Mal erschien es ihm wahnsinnig, Adrienne allein hineingehen zu lassen. »Vielleicht ist unser Plan doch nicht so gut«, sagte er. »Vielleicht sollten wir ihn noch mal überdenken.«
    Sie schüttelte den Kopf und nahm die Schultern zurück. Bereit. Entschlossen. Ganz die Anwältin. Dann blickte sie sich um. »lch hab das längere Streichholz«, sagte sie. »lch darf zumindest reingehen.«
    »Wir hätten ihn anrufen können. Das können wir immer noch.«

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