Gefaelschtes Gedaechtnis
Adrienne, was mache ich denn da? Ihn mit reinnehmen? Na ja, schließlich hatte er ihr das Leben gerettet — und wo sollte er sonst hin? Bestimmt nicht in seine Wohnung.
Er spürte ihre Unentschlossenheit. »Schon gut, ich gehe ins Hotel«, sagte er. »Ich muss über einiges nachdenken.«
Sie schien erleichtert. »Also dann ... lassen Sie von sich hören. Wenn die erst merken, dass Eddie vermisst wird ... «
»Ich sag Ihnen Bescheid, wo ich bin«, versprach er und wandte sich zum Gehen.
Adrienne schob den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn. Doch es tat sich nichts, und sie schnalzte ärgerlich mit der Zunge.
Duran wandte sich um. »Was ist los?«
»Ach, bloß die Tür«, erklärte sie und drehte den Knauf. Und diesmal schwang die Tür auf. Adrienne blickte mit gerunzelter Stirn auf den Schlüssel in ihrer Hand. »Es muss offen gewesen sein ...«
Sie gingen gemeinsam hinein, und statt einer Wohnung erwartete sie eine regelrechte Müllhalde. Der Inhalt jeder Schublade war über den Boden verstreut. Die Matratze war umgedreht worden, und Kleidungsstücke lagen zwischen Glühlampen und Büchern, Cornflakes-Packungen und Schuhen.
Adrienne betrachtete das Ganze, als stände sie an einem Unfallort, starrte entsetzt und fassungslos auf das Chaos vor ihren Augen. Sie machte ein paar zögernde Schritte in die Wohnung, watete durch den Schutt, der ihr normales Leben gewesen war. Allmählich ließ ihre Verblüffung nach, und Wut stieg in ihr auf. Sie stand neben dem einen Regal und fing mechanisch an, Bücher aufzuheben und wieder einzuräumen. Sie hob »Der Gott der kleinen Dinge« auf, und da runter kam die Urne ihrer Schwester zum Vorschein, die umgekippt auf der Seite lag. Der Deckel war abgefallen, und der Inhalt teilweise herausgekippt. Sie sank auf die Knie und fing an, die Asche mit den Händen wieder in den Behälter zu schaufeln.
»Was machen Sie da?«, fragte Duran.
Sie sah ihn an, Tränen der Wut in den Augen. »Das ist Nikki ...«
Duran blickte weg, holte dann tief Luft. »Ich denke, wir sollten machen, dass wir hier wegkommen«, sagte er. Adrienne nickte, erhob sich dann wortlos und betrachtete etwas, das auf ihrer Handfläche lag.
»Was ist das?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf und zeigte ihm, was sie gefunden hatte: ein Stück Glas, knapp einen Zentimeter lang, anscheinend mit Drahtstückchen darin. »Das war in der Urne.«
Duran sah sich das Ding an, aber er wusste nichts damit anzufangen. »Ich denke wirklich, wir sollten jetzt gehen«, sagte er zu ihr. »Wir können in einem Hotel übernachten — irgendwo außerhalb.«
»Sehen Sie sich das an«, sagte Adrienne, auf das kleine Stück Glas starrend. »Das darf doch wohl nicht wahr sein.«
»Was denn?«
»Das muss ... bei der Einäscherung da reingeraten sein. Das ist doch ekelhaft — dass in die sterblichen Überreste eines Menschen so Zeug reinkommt.«
»Stimmt«, sagt Duran. »Aber wir sollten jetzt wirklich hier abhauen. Könnte sein, dass die wiederkommen, verstehen Sie?«
Adrienne nickte, rasche, knappe, ruckartige Kopfbewegungen, und warf das Glasstück auf den Boden. Dann stakste sie vorsichtig durch den Schutt und hob das Telefon auf. Sie legte den Hörer wieder auf die Gabel und sah Duran an. »Ich kann nicht die Polizei anrufen, oder?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Die halten uns für verrückt.«
»Ich weiß«, sagte sie. Dann ging sie in die Küche, drehte das Wasser auf und spülte sich die Asche ihrer Schwester von den Händen.
20
S ie verbrachten die Nacht im Springfield Comfort Inn, dem abgelegensten Hotel, das sie finden konnten, etwa zehn Meilen außerhalb von Washington.
Das Zimmer war eigentlich nicht schlecht, aber winzig klein, mit entsprechenden Betten, einem Fernseher, einem Tisch und einem Schreibtisch mit Lampe, die nicht funktionierte.
Adrienne riss die Vorhänge auf und blickte auf den Parkplatz und die dahinter liegende Ladenzeile. Die Luft im Zimmer war so reglos und abgestanden, dass sie die Fenster aufmachen wollte, aber nein: Sie ließen sich nicht öffnen, vermutlich auf Empfehlung irgendeines Anwalts. Damit blieb nur das Klimagerät unter dem Fenster, und es sprang auf Kommando ratternd an und pustete warme Luft über die Betten.
»Was nun?«, fragte sie mit ausdrucksloser Stimme, die Augen auf den Parkplatz gerichtet.
Duran sah sie an. »Das fragen Sie mich?«
Sie drehte sich um und sah ihn ausgestreckt auf dem Bett liegen, den Blick
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