Gefahrliches Vermachtnis
ihr, als ob sie sich nicht gut genug auf ihr Gespräch vorbereitet hatte.
„Was machst du denn um diese Uhrzeit noch hier, Schätzchen?“, fragte er.
„Ich habe auf dich gewartet.“
„Warum? Hast du morgen keine Schule? Es ist doch nicht schon wieder ein Feiertag, oder?“
„Daddy, ich muss mit dir reden.“
Sein Lächeln verschwand. Er betrachtete sie sorgfältig, so als ob er nach einem Zeichen der Rebellion suchte. Sie fragte sich, welchen Platz die kommende Unterhaltung auf einer Skala einnehmen würde, die von fünf Minuten Verspätung beim Abendbrot bis zur Schwangerschaft reichte. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich mir vorher noch einen Drink genehmige?“
Ein paar Minuten später kam er mit einem Whiskeyglas mit Goldrand aus der Küche zurück. „Ich glaube, ich bin jetzt bereit.“
„Ich glaube, ich nicht“, gestand sie. „Aber ich muss es dir trotzdem sagen, Daddy. Was du in der Bürgerschaft gegen die Integration gesagt hast, gefällt mir nicht. Es stimmt nicht, dass Weiße ihre Töchter schützen müssten, wenn Schwarze dieselben Schulen wie sie besuchen würden.“
„Ach wirklich?“ Er schwenkte den Whiskey in seinem Glas. „Bist du dir da sicher?“
„Warum sagst du solche Sachen? Wie kannst du nur, wo du gleichzeitig Schwarze in deinem Haus für dich arbeiten lässt?“
„Es war eine Redewendung, Süße. Ich denke eben zufällig, dass Schwarze und Weiße nicht dieselben Schulen besuchen sollten. Falls sie dazu gezwungen wären, würde ziemlich bald niemand mehr wissen, wo sein Platz ist. Die Dinge sind nun einmal, wie sie sind, und sie haben jahrhundertelang hervorragend funktioniert. Niemand behauptet, dass Farbige nicht ihren Anteil haben sollten, es ist nur einfach so, dass …“
„Ihr Anteil ist aber nicht gerecht verteilt! Und sie sollten das Recht haben, sich denselben Anteil zu nehmen wie wir.“ Sie war verblüfft, dass sie ihn unterbrochen hatte. „Ich habe wirklich nicht auf dich gewartet, um mit dir über etwas zu reden, dasdu schon getan hast – ich habe auf dich gewartet, weil ich dich bitten wollte, etwas anderes nicht zu tun. Daddy, deine Rede bei dieser Bürgerschaftsversammlung ist eine schreckliche Idee! Das wird alle nur noch mehr gegeneinander aufbringen. Die Integration wird stattfinden und du wirst sie nicht aufhalten können. Kannst du nicht einfach dafür sorgen, dass alles friedlich verläuft? Hat man dich nicht dafür gewählt?“
Er schien fast nach Worten zu ringen, während er sie anstarrte. Außer dem Klirren der Eiswürfel in seinem Glas war kein Laut zu hören.
„Ich weiß, dass ich nicht alles verstehe“, sagte Dawn, als sie das leise Klirren nicht länger ertragen konnte. „Aber Menschen zu verletzen ist nicht richtig. Und die Menschen werden verletzt sein, wenn wir ihnen die Eingliederung verweigern.“
„Was soll ich tun?“ Er hob eine Braue und sah sie fragend an. Dann hob er das Glas und leerte seinen Drink mit einem Zug. „Ich gehöre nicht zu diesen irren Fanatikern der Bürgerversammlung, Schätzchen. Aber einige dieser Fanatiker haben mich gewählt, und wenn ich die richtigen Dinge sage, werden sie mich wiederwählen.“
„Aber …“
Er hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen.
„Ich war auch einmal achtzehn, und ich erinnere mich daran, wie einfach alles schien. Schwarz und weiß. Lustig, dass wir nun genau darüber diskutieren. Aber es ist nicht alles so einfach. Ich bin gut in meiner Arbeit, Dawn, und ich habe viel Gutes für die Menschen in Louisiana erreicht. Ich kann damit fortfahren. Oder ich kann mich für eine Sache einsetzen, die mir nicht einmal besonders am Herzen liegt, und niemals, niemals wieder etwas für diesen Staat oder diese Stadt tun.“
Dawn wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
„Ich glaube nicht, dass diese Versammlung eine gute Idee ist“, fuhr Ferris fort. „Ich glaube, sie wird große Unruhe verursachen, die wir nicht gebrauchen können. Ich habe das bereits angemerkt, aber auf diesem Ohr sind sie alle taub. Also bleibtmir nur eine Wahl: Ich kann es ablehnen teilzunehmen und mich um die Chance bringen, die Stimme der Vernunft zu sein. Oder ich kann hingehen und versuchen, dafür zu sorgen, dass niemand die Menge zur Gewalt anstiftet. Was würdest du tun?“
Alles war ihr so einfach erschienen, als sie mit Ben und ihrem Onkel zusammen war. Und nun war nichts mehr einfach. „Es ist trotzdem falsch“, sagte sie. „Diese Versammlung ist falsch. Das ist alles, was
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