Gefahrliches Vermachtnis
verändert. Im Schrank hingen immer noch Kleider, die sie als Teenager getragen hatte. Ein pinkfarbener Badeanzug, Flipflops und ein gebügelter Rock lagen inder unteren Schublade der Kommode aus Pinienholz. Der Ausblick aus dem Fenster war derselbe. Sie blieb stehen und sah hinaus in den grauen Nieselregen und die Bucht. Die aufgewühlte See glich ihrem eigenen Gemütszustand.
Sie wandte sich um, als es an der Tür klopfte. „Herein.“
Drei Männer hatten sie zu der Frau gemacht, die sie heute war. Ben war Nummer drei, ihr Onkel Hugh Nummer zwei. Der Mann, der in ihrem Zimmer erschien, war der erste und vermutlich wichtigste Mann in ihrem Leben.
Sie begrüßte ihn mit einem Kopfnicken. „Daddy.“
Ferris lächelte. „Du musst meine Tochter sein. Kein Mensch nennt mich sonst Daddy.“
Ihr Lächeln verschwand. „Wenn du so weitermachst, wäre es mir lieber, ich wäre nie hierhergekommen.“
„Du hättest deine Mutter anrufen sollen, Liebes.“
„Das weiß ich.“ Sie durchquerte das Zimmer und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Begrüßungskuss zu geben. „Ich brauchte nach Grandmères Tod einfach ein bisschen Zeit für mich alleine.“
„Das ist eins deiner Probleme: Du denkst einfach zu viel.“
Dawn trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. „Wir leben in den Sixties. Frauen dürfen selbst denken. Du solltest dich ab und zu daran erinnern, wenn du der nächste Gouverneur werden willst.“
„Du liest also auch? Wie schätzt du meine Chancen ein?“
Dawn glaubte, dass seine Chancen gut standen, aber sie hielt es für eine schlechte Idee, ihm das zu sagen. Der Staat Louisiana würde vielleicht von Ferris Gerritsen im Gouverneurshaus profitieren – aber noch viel mehr von einem liberalen Politiker.
„Ich denke, du solltest jetzt besser zu deiner Mutter gehen und es hinter dich bringen. Sie ist stinksauer auf dich, weil du dich nicht bei ihr gemeldet hast.“
Sie zögerte diesen Augenblick hinaus, weil sie nur zu gut wusste, was auf sie zukam. „Daddy, weißt du, was hier los ist?“
„Nein, aber ich habe vor, es herauszufinden. Ich glaube nicht, dass deine Großmutter wirklich Nicky Reynolds und ihre Familie eingeladen hat.“
Dawn wollte nicht über dieses Thema sprechen. Noch nicht. „Weißt du, weshalb Ben Townsend eingeladen wurde?“
Der Gesichtsausdruck ihres Vaters veränderte sich nicht, aber seine Gedanken waren unschwer zu erraten. „Nein. Seid ihr beide …“
Sie hob die Hand. „Ich habe ihn seit … einem Jahr nicht mehr gesehen.“
„Deine Großmutter hatte offensichtlich einen merkwürdigen Sinn für Humor, den ich nicht mit ihr teile.“
Dawn betrachtete ihren Vater etwas genauer. „Wärm bloß nicht die alten Sachen auf, nur um eine Rechnung mit Ben zu begleichen.“
Sein Gesichtsausdruck wirkte immer noch freundlich. Seine Stimme nicht. „Ben Townsend gehört nicht in dieses Haus und er gehört nicht zu dir.“
Das war unzweifelhaft wahr, aber sie gönnte ihrem Vater die Genugtuung nicht. „Das ist vorbei.“
„Es hätte niemals anfangen dürfen.“
„Wenn wir die Vergangenheit verändern könnten, dann gäbe es da vermutlich noch mehr entscheidende Fehler, über die wir uns Gedanken machen müssten, oder?“
Seine Antwort wurde von einem Geräusch im Treppenhaus unterbrochen. Dawn sah ihre Mutter auf sich zukommen. Nun kam zu den gemischten Gefühlen, die Dawn in den letzten Stunden empfunden hatte, auch noch Schuld dazu.
„Mutter.“
Cappy Gerritsen blieb in majestätischer Haltung auf dem oberen Treppenabsatz stehen. Dawn stellte sich vor, wie die junge Cappy mit einem dicken Wälzer auf dem Kopf durch das große Haus ihrer Familie geschwebt war.
Cappys fester Körper war immer noch graziös geformt und weder das Alter noch zusätzliche zehn Kilo hatten ihrer Schönheitetwas anhaben können. In ihrem hellen, goldenen Haar zeigte sich noch keine Spur von Grau. Bis auf zwei feine Fältchen zwischen den perfekt geschwungenen Augenbrauen wies nichts auf ihre grundsätzliche Unzufriedenheit mit dem Leben hin.
„Schimpf nicht mit Dawn, Cappy!“, bat Ferris seine Frau. „Freu dich darüber, dass sie nach Hause gekommen ist.“
Dawn ging zur Treppe, aber ihre Mutter ließ sich nicht umarmen. „Du siehst wundervoll aus“, sagte Dawn. „Daddys Karrierepläne scheinen dir gutzutun.“
Cappy versuchte nicht einmal, höflich zu bleiben. „Du hättest anrufen können.“
„Ich weiß.“
„Deine Großmutter stirbt, und du
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