Gefahrliches Vermachtnis
verliere?“
„Nein. Ich will, dass du jemanden unterstützt, weil du hinter seinen Zielen stehst und nicht wegen des Vorteils, den du dir davon versprichst.“
„Politik ist wie Pferderennen! Ich hab auf einen Außenseiter gesetzt und fünfzig zu eins gewonnen.“
„Erspare mir deine Schadenfreude.“
„Ich hatte ja ganz vergessen, dass du immer so mit deiner Vergangenheit beschäftigt bist, dass du keine Zeit für die Gegenwart hast.“
Sie verließen die Galerie; ihre Stimmen waren nicht mehr zu hören. Hugh verstand einiges von dem, was seine Eltern gesagt hatten. Das Leben seines Vaters war komplett vom Wahlkampf des Gouverneurs in Anspruch genommen. Der ehrgeizige Henry hatte sich nie damit abgefunden, wie ihn die politischen Kräfte in New Orleans behandelten. Er war immer außerhalb der mächtigen Zirkel geblieben und hatte es nie bis in die inneren Kreise geschafft.
Hugh wusste, dass die Reederei seiner Mutter ihnen zu Prestigein der Stadt verhalf. Er war mit allen sozialen und finanziellen Vorteilen aufgewachsen und bei den Gleichaltrigen aus den besten Kreisen gerne gesehen. Man lud ihn zu den tollsten Partys ein und stellte ihn den höheren Töchtern vor. Doch Hugh hätte all das gerne gegen die Anerkennung seines Vaters eingetauscht.
Als Kind hatte er alles versucht, um Henry zu gefallen. Er hatte sich in der Schule übertroffen und trotz seiner mangelnden sportlichen Neigungen auch häufig im Sport. Er war der Leiter des Debattierklubs und im nächsten Jahr würde er Klassensprecher. Aber was er auch tat, seinen Vater beeindruckte nichts davon. Außer Ferris, Hughs fünf Jahre jüngerem Bruder, schien Henry niemandem aus der Familie zu gefallen. Ferris war so eng mit Henry verbunden wie Hugh mit Aurore. Der Riss, der durch diese Familie ging, war so breit wie der Pass, den sie jeden Sommer auf dem Weg nach Grand Isle überquerten.
Glücklicherweise war Henry während Hughs Kindheit nur selten zu Hause gewesen, um ihn zu schikanieren. Später, als sein Interesse für die Politik sich verstärkte, überließ er die Reederei größtenteils seiner Frau. Zu jedermanns Überraschung hatte er sich – letzte Möglichkeit, ein echtes politisches Schwergewicht zu werden – Huey Long angeschlossen. Er hatte viel in Longs Kampagne investiert und ihn offen unterstützt, obwohl ihn andere Geschäftsmänner als radikalen Kommunisten beschimpften. Nichts, was Long zur Verbesserung der Lebensbedingungen sozial schwacher Familien verlautbaren ließ, entsprach den Überzeugungen seines Vaters, aber Longs Überzeugungskraft und sein politischer Mut wirkten enorm anziehend auf Henry. Henry war sich sicher, dass Long seine Loyalität belohnen würde. Und Henry konnte extrem loyal sein. Zumindest solange es ihm gefiel.
Hugh stand auf und ging zum Fenster. Er strengte sich an, die restliche Unterhaltung seiner Eltern mitzubekommen, aber außer den vertrauten Geräuschen der Insel war nichts zu hören.
Als Kind war er einmal ins Zimmer seiner Eltern gelaufen, um seine Mutter vor der Wut seines Vaters zu beschützen. Sein Vater hatte ihn zwei Mal geschlagen, beim zweiten Mal sogar so heftig, dass Hugh quer durch den Raum gesegelt war. Danach hatte er seiner Mutter versprechen müssen, dass er sich nie wieder einmischen würde. Er begriff, dass ihre Demütigung größer war als ihre Angst, und er hatte sich insgeheim geschworen, sich lieber ein Kissen auf die Ohren zu drücken, als noch einmal einen ihrer Streits zu belauschen. Doch diesen Schwur hatte er schon oft gebrochen.
Hugh wollte Priester werden, weil er anders sein wollte als sein Vater. Doch er fürchtete, dass er sich gar nicht von ihm unterschied.
Er betrachtete den leuchtenden Vollmond vor dem Fenster. Die Nacht erschien ihm wie ein dunkler Dampfkessel. Die Luft schmeckte salzig und roch nach einem Hauch Jasmin. Aus dem Zimmer seiner Eltern drang kein Licht mehr. Hugh versuchte, nicht daran zu denken, was nun geschehen würde. Er wusste, was ein Mann mit einer Frau machte, und er war sich sicher, dass sein Vater es so oft wie möglich tat. Wie hielt es seine Mutter bloß aus, so von Henry angefasst zu werden, auch wenn die Kirche es für ihre Pflicht hielt?
Zurück im Bett, versuchte er, an etwas anderes zu denken. Er hatte seine Gebete schon gesprochen, wiederholte sie aber noch einmal leise, während er an die Decke starrte. Dabei überhörte er zunächst die Steinchen, die gegen sein Fenster flogen. Als er es endlich bemerkte, unterbrach er sein
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