Gefahrliches Vermachtnis
Sekunden im Wasser. Hugh stieß Ferris gegen den Baum und schirmte ihn mit seinem Körper ab.
„Willst du uns umbringen, Hap?“
„Nein. Aber ich werde nicht zulassen, dass dir irgendwas passiert! Sei ruhig, und lass mich reden, wenn sie hierherkommen.“
„Ich hab Angst!“
„Brauchst du nicht. Ich pass auf dich auf.“ Hugh hatte keine Ahnung, wie er das bewerkstelligen würde, aber er wusste, dass er im Notfall sein Leben opfern würde wie ein Märtyrer. Niemand würde Ferris ein Haar krümmen.
„Stehen bleiben!“, sagte Val. „Bleibt einfach ruhig stehen. Ich hab ihnen gesagt, dass wir ihnen nur zum Spaß zugesehen haben. Dit pas rien. Ich werde reden.“
Ein Mann watete durch den Sumpf zu ihnen. Sein Gewehr war zuerst zu sehen. Dann folgte ein großer, muskulöser Körper. „Was macht ihr ’n hier?“
„Wir wollten einfach nur zugucken.“
„Und woher wisst ihr, dass wir hier sind?“
„Jemand hat darüber gesprochen, als ich in der Bäckerei war.“
„So?“ Zwei weitere Männer tauchten auf. „Woher wusstet ihr, wo ihr uns findet?“
„Ich kenn mich hier aus. Ich war schon oft mit meinem Cousin Coo hier. Kennt ihr Coo Boudreaux?“
Der Gewehrlauf richtete sich nun auf Hugh. „Was versteckstdu da hinter deinem Rücken, Junge?“
Val hatte Hugh gebeten, nichts zu sagen, aber Hugh wusste, dass er antworten musste. „Meinen Bruder, Sir. Er ist nur ein kleiner Junge. Er wollte nicht mit, aber wir haben ihn dazu gezwungen. Es ist mir egal, wenn Sie mich erschießen! Aber bitte – tun Sie ihm nichts!“
„Lass uns diesen Bruder mal sehen.“
„Nein. Ich rühr mich nicht von der Stelle.“ Hugh blieb stehen. „Das kann ich nicht. Ich muss auf ihn aufpassen.“
Der Mann kam näher. „Un bon frère, heh?“ Die anderen beiden begannen gereizt zu murmeln. Der Mann mit dem Gewehr drehte sich zu ihnen um. „Taisez-vous autres!“ Und dann wandte er sich wieder an Hugh. „Du bist nicht von hier?“
„Nein, Sir.“
„Aus der Stadt?“
„Ja. Aber im Sommer leben wir auf Grand Isle.“
Der Mann berührte Hughs Bauch mit dem Gewehr. Hugh kniff die Augen zusammen. Er fühlte bereits, wie das Gewehr sich in seinen Bauchnabel brannte, und die Kugel würde auch Ferris töten. „Bitte, Sir! Lassen Sie meinen Bruder gehen, bevor Sie mich erschießen.“ Tränen standen ihm in den Augen und in seinem Mund hatte er den Geschmack von bitterer Galle. Er wusste nicht, ob er sich zuerst übergeben oder weinen musste. Es schien auch kaum eine Rolle zu spielen.
„Wie heißt du, mein Junge?“, fragte der Mann.
„Hugh.“ Er schluckte.
„Hugh. Ist das ein französischer Name?“
„Weiß nicht.“
„Und weiter?“
„Gerritsen, Sir.“
„Gerritsen?“
„Ja, Sir.“
Der Gewehrlauf drückte nicht länger gegen seinen Bauch. „Du kennst Henry Gerritsen?“
Hugh wusste, dass sein Vater eine Menge Feinde besaß. Aberbeim Lügen ertappt zu werden, konnte eine fatale Wirkung haben. „Er ist mein Vater, Sir.“
„Du bist Henry Gerritsens Sohn?“
„Ja, Sir.“ Hugh öffnete die Augen und entdeckte ein Lächeln auf dem wettergegerbten Gesicht des Mannes. Er rief seinen Kameraden etwas zu. Ihr Gelächter erfüllte die Nacht.
„Du!“ Der Mann deutete mit dem Gewehr auf Val. „Und du bist ihr Freund?“
„Bester Freund! Seit wir so klein waren.“ Val zeigte mit der Hand auf unterhalb seines Knies.
„Dann schnapp dir deine Freunde und hau ab! Von nun an müsst ihr euch eine andere Beschäftigung aussuchen, denn nächstes Mal schieß ich. Niedrig.“ Er deutete auf Vals Unterleib.
Val, Hugh und Ferris taten, was der Mann gesagt hatte. Niemand schaute zurück, obwohl sie damit rechneten, hinterrücks erschossen zu werden. Doch es flog keine Kugel. Stattdessen ertönten Gelächter und unverständliche französische Satzfetzen. Als sie endlich wieder soliden Grund unter den Füßen hatten, schob Hugh Ferris von sich weg und übergab sich, bis nichts mehr in seinem Magen war.
„Bist du okay?“, fragte Val, als es so aussah, als ob Hugh fertig sei.
„Ja. Los, wir hauen ab von hier.“
Die drei eilten still und bestürzt zu Vals Boot zurück. Sogar Ferris wirkte kleinlaut.
Sie schwiegen, bis sie auf dem Wasser waren. Der Wind blies von vorne und sie kamen nur langsam voran. Hugh befürchtete, dass sie erst im Morgengrauen nach Hause kommen würden. Doch selbst der Zorn seines Vaters wirkte im Vergleich zu dem, was sie gerade erlebt hatten, lächerlich.
„Warum haben sie uns
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