Gefallene Engel
Stöcke?«
»Werden wir demnächst das Tor öffnen?«
»Was fragen Sie mich? Wardani ist die Expertin.«
»Sie scheinen… einen guten Draht zu ihr haben.«
Wieder zuckte ich mit die Achseln und blickte schweigend über die Reling hinaus. Die Nacht schob sich über die Bucht heran und ließ die Wasseroberfläche matt werden.
»Bleiben Sie hier draußen?«
Ich hielt die Flasche vor den dunkler werdenden Himmel und das rote Leuchten. Sie war noch mehr als halb voll.
»Ich sehe keinen Grund, warum ich jetzt gehen sollte.«
Er lachte leise. »Ist Ihnen bewusst, dass wir hier ein Sammlerstück austrinken? Auch wenn es nicht so schmeckt, aber das Zeug dürfte inzwischen viel Geld wert sein. Ich meine…« – er deutete über die Schulter in die Richtung, wo sich Sauberville befunden hatte –, »man wird nichts mehr davon herstellen.«
»Ja.« Ich drehte mich an der Reling um und sah über das Deck zur getöteten Stadt hinüber. Ich schenkte mir ein weiteres Glas ein und hob es zum Himmel. »Also auf die armen Schweine. Lassen Sie uns die ganze verdammte Flasche austrinken.«
Danach sprachen wir kaum noch miteinander. Die Konversation versiegte proportional zum Pegel in der Flasche und zum schwindenden Licht rund um den Trawler. Die Welt reduzierte sich auf das Deck, den Umriss der Brücke und eine armselige Hand voll Sterne, die nicht von Wolken verhüllt war. Wir verließen die Reling und setzten uns aufs Deck, gegen halbwegs bequeme Aufbauten gelehnt.
Irgendwann und ohne erkennbaren Anlass fragte Deprez:
»Wurden Sie in einem Tank gezüchtet, Kovacs?«
Ich hob den Kopf und konzentrierte meinen Blick auf ihn. Es war eine weit verbreitete falsche Vorstellung über die Envoys. »Tankkopf« war ein ähnlich geläufiges Schimpfwort, das ich auf mehreren Welten gehört hatte, auf die ich per Needlecast geschickt wurde. Aber wenn der Angehörige einer Spezialtruppe danach fragte…
»Nein, natürlich nicht. Sie?«
»Natürlich nicht, verdammt! Aber die Envoys…«
»Ja, klar, die Envoys. Man stellt uns an die Wand, zerlegt virtuell unsere Psyche und strickt sie mit einer Menge konditioniertem Mist wieder zusammen, der einem in klareren Momenten verdammt zuwider ist. Aber die meisten von uns sind trotzdem realweltliche Menschen. Wenn man real aufwächst, gewinnt man eine grundsätzliche Flexibilität, die ziemlich lebenswichtig ist.«
»Nicht unbedingt.« Deprez hob die Hand. »Man könnte ein Konstrukt generieren, ihm ein beschleunigtes virtuelles Leben geben und es dann in einen Klon laden. So etwas müsste nicht einmal wissen, dass es gar nicht in der Realität aufgewachsen ist. Sie könnten so etwas sein, ohne es zu ahnen.«
Ich gähnte. »Ja, sicher. Sie natürlich auch. Das könnte für uns alle gelten. Das ist etwas, womit man sich bei jedem Resleeving abfinden muss, jedes Mal, wenn man digitalisiert wird. Wissen Sie, woher ich weiß, dass man so etwas nicht mit mir gemacht hat?«
»Woher?«
»Weil es unmöglich wäre, eine so verkorkste Kindheit und Jugend wie meine zu programmieren. Dadurch wurde ich schon in frühen Jahren zu einem Soziopathen, der sporadisch und vehement der Staatsgewalt Widerstand leistete und emotional unvorhersehbar reagierte. Ich wäre ein ziemlich missratener Klonkrieger, Luc.«
Er lachte, und kurz darauf lachte ich mit.
»Aber es macht einen nachdenklich«, sagte er, als er sich beruhigt hatte.
»Was?«
Er deutete in die Runde. »All das hier. Der Strand. So ruhig. So still. Vielleicht ist alles nur ein militärisches Konstrukt. Vielleicht hat man uns nur nach hier abgeschoben, während wir tot sind, während sie überlegen, wo sie uns anschließend dekantieren sollen.«
Ich zuckte die Achseln. »Genießen Sie es, so lange es noch geht.«
»Sie wären damit zufrieden? In einem Konstrukt zu existieren?«
»Luc, nach dem, was ich in den vergangenen zwei Jahren gesehen habe, wäre ich glücklich, wenn ich mich in einem Wartezimmer für die Seelen der Verdammten aufhalten könnte.«
»Sehr romantisch. Aber ich rede von einer militärischen Virtualität.«
»Wir streiten um Begriffe.«
»Sie betrachten sich als verdammte Seele?«
Ich trank noch einen Schluck Sauberville-Whisky und zog eine Grimasse, als er in mir brannte. »Das war ein Scherz, Luc. Ich versuche nur, witzig zu sein.«
»Ach so. Sie sollten mich vorwarnen.« Plötzlich beugte er sich vor. »Wann haben Sie zum ersten Mal jemanden getötet, Kovacs?«
»Wenn das keine persönliche Frage ist…«
»Wir
Weitere Kostenlose Bücher