Gefallene Engel
verwundert an. »Das haben Sie gewusst?«
Ich betrachtete meine Hände. Sie zitterten immer noch ein wenig. Unter der Haut spannten sich unruhig die Bioplatten.
Ich gab mir Mühe, es zu unterdrücken.
»Ich habe es mir zusammengereimt. Während des Kampfes.« Ich erwiderte seinen Blick. Peripher nahm ich wahr, dass Wardani mich ebenfalls anstarrte. »Nennen Sie es Envoy-Intuition. Die Sunjets haben nichts bewirkt, weil wir die Kolonien bereits extrem heißem Plasmafeuer ausgesetzt haben. Daran haben sie sich evolutionär angepasst, und nun konnten sie auch Immunität gegen Strahlwaffen entwickeln.«
»Und der Ultravib?« Sutjiadis Frage war an Sun gerichtet.
Sie schüttelte den Kopf. »Als ich einen Testschuss abgegeben habe, ist nichts passiert. Es kommt zu einer Resonanz im Nanobenfeld, aber sie werden nicht beschädigt. Weniger Wirkung als der Sunjet-Strahl.«
»Solide Munition ist das Einzige, das noch funktioniert«, sagte Hand nachdenklich.
»Ja, aber auch nicht mehr lange.« Ich stand auf und wandte mich zum Gehen. »Geben Sie Ihnen noch etwas Zeit, dann werden sie sich auch daran angepasst haben. Und an die Korrosionsgranaten. Ich hätte sie mir für später aufheben sollen.«
»Wohin gehen Sie, Kovacs?«
»Wenn ich Sie wäre, Hand, würde ich Ameli die Anweisung erteilen, auf etwas größere Höhe zu gehen. Sobald sie gelernt haben, dass nicht alles, was sie tötet, am Boden lebt, werden sie längere Arme entwickeln.«
Ich ging hinaus und ließ den Ratschlag wie ein Stück Kleidung zurück, das ich auf dem Weg ins Bett fallen gelassen hatte. Mehr oder weniger zufällig fand ich mich im Frachtraum wieder, wo es schien, als wären die automatischen Zielsysteme der Maschinengewehre nun aktiviert. Luc Deprez stand auf der gegenüberliegenden Seite der Schleuse mit seiner Waffe, rauchte eine von Cruickshanks Indigo-City-Zigarren und starrte auf den Strand drei Meter unter sich. Am anderen Ende des Decks hockte Jiang Jianping im Schneidersitz vor dem Leichenfach. Die Luft war im verständnislosen Schweigen erstarrt, mit dem Männer ihre Trauer verarbeiteten.
Ich ließ mich an einer Wand zu Boden sinken und schloss die Augen. Der Countdown blinkte hell in der plötzlichen Dunkelheit hinter meinen Lidern. Eine Stunde und dreiundfünfzig Minuten.
Cruickshanks Gesicht flackerte in meinem Kopf auf. Grinsen, auf eine Aufgabe konzentriert, rauchend, in der Ekstase des Orgasmus, in der Luft zerfetzt…
Hör auf damit!
Ich hörte das Rascheln von Kleidung in meiner Nähe und blickte auf. Jiang stand vor mir.
»Kovacs.« Er ging in die Hocke, damit wir auf Augenhöhe waren und setzte noch einmal an. »Kovacs, es tut mir Leid. Sie war eine gute Sol…«
Die Interface-Waffe sprang in meine rechte Hand, und der Lauf stieß gegen seine Stirn. Schockiert wich er zurück und landete auf dem Hintern.
»Halten Sie die Klappe, Jiang!« Ich kniff die Lippen zusammen und atmete tief durch. »Wenn Sie noch ein beschissenes Wort sagen, werde ich Luc mit Ihrem Gehirn besprühen.«
Ich wartete, während sich die Waffe am Ende meines Arms anfühlte, als würde sie mehrere Kilo wiegen. Die Bioplatte hielt sie für mich fest. Schließlich rappelte sich Jiang auf und ging.
Eine Stunde und fünfzig Minuten. Der Countdown pulsierte in meinem Kopf.
29
Hand berief eine offizielle Konferenz um ein Uhr und siebzehn Minuten ein. Ein exaktes Timing, aber vielleicht wollte er auch nur allen die Gelegenheit geben, vorher inoffiziell ihre Gefühle zu äußern. Auf dem oberen Deck war es immer wieder recht laut geworden, seit ich gegangen war. Unten im Frachtraum konnte ich nur den Tonfall hören, aber ohne Einsatz des Neurachems keine Inhalte verstehen. Es schien schon längere Zeit so zu gehen.
Gelegentlich hörte ich, wie jemand den Frachtraum betrat oder verließ, aber niemand kam in meine Nähe, und ich brachte nicht genügend Energie oder Interesse auf, den Blick zu heben. Offenbar die einzige Person, die keinen großen Bogen um mich machte, war Semetaire.
Habe ich dir nicht gesagt, dass es hier Arbeit für mich gibt?
Ich schloss die Augen.
Wo ist meine Antipersonenpatrone, Wedge-Wolf? Wo ist deine wahnsinnige Wut geblieben, wenn du sie brauchst?
Ich habe nichts…
Suchst du jetzt nach mir?
Ich habe nichts mehr mit dieser Scheiße zu tun.
Gelächter, rieselnd, wie ausgekippte kortikale Stacks.
»Kovacs?«
Ich blickte auf. Es war Luc Deprez.
»Ich glaube, Sie sollten nach oben kommen«, sagte er.
Der Lärm
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