Gefangen im Palazzo der Leidenschaft
sollte, bei Dmitri. Noch mehr überraschte sie, dass er zugab, die Situation nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Dieser Mann war doch die personifizierte Arroganz. Sein Verhalten ließ also nur zwei Schlüsse zu: Entweder war er tatsächlich so besorgt um Claudias Wohlergehen, wie er behauptete, oder er machte sich Sorgen um den geschäftlichen Zusammenschluss mit den Giordanos, wie Lily ihm schon vorgehalten hatte. Nur die Zeit würde erweisen, was der wahre Grund für seinen derzeitigen Frust war.
„Mir ist bewusst, dass Sie in Italien vermutlich als mächtiger Mann gelten, aber ich glaube kaum, dass dieser Umstand Sie davon entbindet, sich an das Gesetz zu halten“, erklärte sie.
Dmitri runzelte die Stirn. „Vermutlich?“
Krampfhaft umklammerte sie den Riemen ihrer Tasche. „Na schön, ich weiß, dass Sie ein mächtiger Mann sind. In Italien und anderswo. Aber auch Sie kommen nicht ungeschoren davon, wenn Sie eine englische Touristin kidnappen.“
Ihre Beschuldigung schien ihn nicht im Mindesten zu berühren. Vielmehr wirkte er amüsiert.
„Sie sind kein Kind, Lily. Eher würde ich sagen, ein renitenter Gast.“
„Das können Sie halten, wie Sie wollen“, gab Lily hitzig zurück. „Tatsache ist, dass ich gezwungen werde, hier zu bleiben. Und genau das werde ich dem nächsten Polizeibeamten lauthals verkünden, sobald ich hier raus bin“, versicherte sie ihm.
Daraufhin verschwand der belustigte Ausdruck in seinen Augen. „Das wäre unklug, Lily.“
„Wollen Sie mir etwa drohen?“
„Aber nein“, antwortete Dmitri trügerisch sanft. „Ich gebe Ihnen nur den Rat, in dieser delikaten Situation keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Denn dann müsste ich Ihrem Bruder in Bezug auf Claudia das Gleiche vorhalten. Und was denken Sie wohl, wem die Behörden in diesem Fall Glauben schenken würden?“
Reglos stand sie da. „Claudia würde Ihren Vorwurf von sich weisen“, flüsterte sie.
„Vielleicht.“ Er konnte nicht ganz verbergen, wie ungehalten er über seine rebellische Schwester war. „Aber sicher können Sie sich da nicht sein, stimmt’s?“
Da sie absolut nichts über Claudia wusste außer dem, was Felix ihr erzählt hatte – wobei die heutigen Ereignisse zeigten, dass er vieles ausgelassen hatte –, konnte Lily sich über gar nichts mehr sicher sein. Am allerwenigsten darüber, ob Claudia sich letztlich ihrem Bruder oder Felix gegenüber loyal verhalten würde, dem Mann, in den sie sich angeblich verliebt hatte.
Dmitri fiel es nicht schwer, den Abscheu und die Unsicherheit von ihrem ausdrucksstarken Gesicht abzulesen. Wobei er zutiefst bereute, die Ursache dieser Gefühle zu sein. Denn bis Claudia zu ihm zurückgekehrt war – hoffentlich unverheiratet –, durfte er sich von derlei Regungen in seiner Entschlossenheit nicht beeinträchtigen lassen. „Kopf hoch, Lily“, sagte er ruhig. „Ich will Ihnen ja nichts Böses. Und Sie werden sehen, dass der Palazzo Scarletti viel komfortabler ist als das Apartment Ihres Bruders.“
Ihre Augen leuchteten in einem tiefen Blau. „Ein goldener Käfig ist und bleibt ein Käfig.“
Frustriert seufzte Dmitri auf, weil sie sich weiterhin starrköpfig zeigte. „Warum kämpfen Sie immer noch gegen mich an?“
Sie zuckte die Schultern. „Wahrscheinlich weil ich mich über Ihre unglaubliche Arroganz ärgere.“
Ihre Aufrichtigkeit ließ ihn zusammenzucken, zumal er sich gegen diesen erneuten Vorwurf nicht einmal verteidigen konnte. Er war tatsächlich arrogant.
Er war erst einundzwanzig gewesen, als er den Titel des Grafen Scarletti erbte, mit all den dazugehörigen Verpflichtungen – das Geschäftsimperium der Scarlettis, die zahlreichen Besitzungen und die Bediensteten, die all das instand hielten. Und er hatte die Vormundschaft über seine viel jüngere Schwester erhalten.
Natürlich hatte sein Vater ihn auf diese Eventualität vorbereitet, aber niemand hatte damit gerechnet, dass dieser Tag so schnell kommen würde. Ein Einundzwanzigjähriger als Oberhaupt der Familie Scarletti und deren Imperium war natürlich genauso eine Zielscheibe für geschäftliche Konkurrenten wie für die Kritik der älteren Familienmitglieder. Zu der Zeit war sein einziger Schutz gewesen, sich eine Arroganz zuzulegen, mit der sein Vater früher solchen Bedrohungen entgegengetreten war. Eine Lektion, die Dmitri sehr gut von ihm gelernt hatte. Vielleicht zu gut.
Aber diese bewusst überhebliche Haltung war der einzige Weg, den er kannte, um
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