Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
sie freundlich anlächelte, sie liebte und begehrte.
»So lauf ihm doch nach!« Plötzlich kam Leben in die Mutter. »Du bist doch sein Kind!«
Wenn schon nicht sie, sollte wenigstens das gemeinsame Fleisch und Blut über ihn wachen. Wenigstens an diese Verantwortung wollte sie ihn noch ketten.
Ich rannte mit klopfendem Herzen den Berg hinunter. Die Mutter hatte mir einen Auftrag erteilt, sie erachtete mich als ihre Verbündete. Am Marktplatz bestieg der Vater den Bus, und ich schrie: »Vater, wohin fährst du? Nimm mich mit, ich bin doch dein Kind!«
Der Vater zuckte zusammen, er wollte nicht auffallen. Ein schreiendes Kind, das ihm barfuß hinterherrannte, das verkraftete er nicht, das war ihm zu viel. Also durfte ich mit einsteigen, und wir saßen nebeneinander auf der Rückbank. Ich staunte, denn ich war noch nie mit dem Bus gefahren.
»Wo fahren wir hin?«
»Nach Freudenstadt, zum Zirkus.«
»Was ist das, Zirkus?«
Der Vater war verlegen, als wir ausstiegen. Die vollbusige, wasserstoffblonde Dame mit den hochtoupierten Haaren, dem kurzen Rock und den echten Nylonstrümpfen wartete schon mit dem Moped auf ihn. Aber er nickte ihr nur kurz zu und wies mit dem Kinn auf mich. Anschließend schob er mich zum Festplatz am Rande der Stadt, wo ein Zirkuszelt stand. Ein paar versprengte Wohnwagen standen im Sand, und es roch wild und würzig nach Pferden und anderen Tieren. Ein Tanzbär wurde an einem Nasenring durch die Manege geführt, und mein Herz machte einen glücklichen Hopser nach dem anderen. Ich ließ Vaters Hand nicht los, und es war mir egal, dass er eine Geliebte hatte. Er hatte sie stehen lassen, für mich. Vielleicht hatte er mit ihr in den Zirkus gehen wollen?
Nun, da hatte sie eben Pech gehabt. Er ging mit mir. Ich war ihm mehr wert. Ein nie gekanntes Glücksgefühl erfasste mich, und ich vergaß den Auftrag der Mutter.
Wir saßen auf niedrigen Bänken in der hintersten Reihe. Anschließend kaufte er mir eine Kugel Eis und sagte, die Mutter brauche das nicht zu wissen. Das sei eine Sache nur zwischen uns beiden, ich sei jetzt sein Sohn. Das machte mich unendlich stolz. Der von ihm ersehnte Sohn war ich!
Von nun an nahm er mich überallhin mit: Dränagen legen auf den nassen Feldern, Holz machen im Wald, Igel fangen für die Bürstenbinder, Ratten fangen für die reichen Bauern – es gab dafür Geld –, überallhin, wo Männerarbeit war. Sogar am Samstagabend in die Wirtschaft, wo er dann sein Bier trank. Was mir noch heute wehtut, ist, dass meine Mutter nie irgendwo hindurfte. Sie war die Magd für Haus und Hof, ohne je einen Pfennig Geld in der Tasche zu haben.
An diesem Abend bekam ich von meiner Mutter die letzten Schläge meines Lebens.
Sie hatte mit angehaltenem Atem in der Tür gestanden und darauf gewartet, dass ich Vater bei ihr verriet, aber ich tat es nicht.
»Wo seid ihr gewesen?« Ihre Gesichtszüge waren hart und kalt, als sie merkte, dass ich umgeschwenkt war, dass ich nicht mehr ihre Verbündete war, sondern seine.
»Wer ist sie? Wie sieht sie aus, was hat sie, was ich nicht habe?«
Ich zuckte mit den Schultern, steckte die Hände in die Schürzentaschen, presste die Lippen zusammen. Ich wollte sie nicht kränken.
»Das werde ich dir nie verzeihen!«, zischte die Mutter, und ihre Augen verengten sich zu winzigen Schlitzen.
»Ich habe nichts getan!«, verteidigte ich mich. »Wir waren nur im Zirkus und haben Eis gegessen! Was ist denn daran verboten? Der Vater hatte zwei Eintrittskarten, eine für sich und eine für … mich.« Da zerrte sie mich an den Haaren ins Schlafzimmer, drückte mich mit ihrem gesamten Körpergewicht über mein altes Gitterbett und zerdrosch einen Skistock auf mir.
Die ganze Wut und Enttäuschung einer ungeliebten Frau, deren Leben eine einzige Qual war, entlud sich in einem Schwall hasserfüllter Hiebe auf meinem nackten Hinterteil. Hinzu kam, dass ich nicht zu ihr gehalten hatte, sondern zu ihm. Das verdoppelte ihren Schmerz und damit den meinen. Die Schläge zischten durch die Luft wie Peitschenhiebe, und ich konnte ein Wimmern nicht unterdrücken, obwohl ich doch Vaters Sohn war, und Söhne heulen nicht.
Erst als der Skistock zersplitterte und sie lauter heulte als ich, fiel ihre Wut von ihr ab. Schwer atmend stand sie da, während ihr dicke Tränen übers Gesicht liefen.
Ich rappelte mich auf und lief über Stock und Stein zu meinem Vater, der Nachtschicht in der Fabrik hatte. Dort zeigte ich ihm meine Striemen und Platzwunden. Zum ersten
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