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Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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kriegen! Das ist streng verboten!«
    Sieglinde beugte sich schon wieder über den Eimer und kotzte sich die Seele aus dem Leib. »Erwähne bloß das Wort Kuchen nicht!«
    »Aber was ist es dann?« Ratlos schaute ich meine arme Schwester an, die den Eimer draußen im Wassergraben entleerte und ihn ausspülte.
    »Dass du mir bloß den Eltern nichts sagst!«
    Ich versprach es natürlich, aber einige Wochen später schienen sie doch etwas von Sieglindes seltsamem Zustand zu bemerken. Ihr Bauch war nur noch runder und praller geworden, obwohl sie sich jeden Morgen erbrach, und auf einmal hörte ich meine Mutter schreien: »Wer ist der verdammte Kerl?«
    »Der Geselle, Mutter, es war der Geselle!«
    Sieglinde wimmerte um ihr Leben, als die Mutter den Schürhaken von der Wand riss und auf sie eindrosch. Obwohl Sieglinde schon sechzehn war, legte die Mutter sie genau wie mich früher über das Gitterbett und schlug ihr den nackten Hintern blutig. Sie tat mir so leid, denn sie war doch sowieso schon so elend und krank! Und warum war die Mutter so wütend auf den Gesellen, dass sie ihn »verdammter Kerl« nannte? Hatte er Sieglinde vielleicht doch zu viel Kuchen und Rosinenbrötchen gegeben, dass sie sich so nachhaltig den Magen verdorben hatte?
    Als der Vater aus der Fabrik kam, berichtete ihm die Mutter wutschnaubend, was mit Sieglinde los war, und ich bekam so eine Ahnung davon, dass es mit ihrem Kleinod zu tun haben musste. Was das genau war, wusste ich nicht. Die Mutter schrie, was für eine unsägliche Schande das für die ganze Familie sei. »Die Leute verachten uns sowieso schon, und jetzt tust du uns das auch noch an!« Sie schrie Schimpfworte, die sie schon für Vaters Geliebte übriggehabt hatte und noch viele andere, die ich noch nie gehört hatte. Hure! Was war eine Hure? Eine Hure Heu? Aber es hieß doch Fuhre!
    »Ich habe nicht gewusst, was da passiert, ich hatte keine Ahnung! Der Hansi hat mich in die Vorratskammer gezogen, er will mir was zeigen, hat er gesagt. Darin war es dunkel, und dann dachte ich, er will mich kitzeln und habe gelacht, bis er … Ich weiß nicht, es hat ja nur eine Minute gedauert. Es hat wehgetan und geblutet, und ich habe gesagt, er soll das lassen. Da hat er gelacht, und schon war es vorbei!«
    »Hach Gott, sie ist so dumm, sie ist so was von strohdumm«, schnaubte mein Vater. »Hast du ihr denn nie etwas gesagt?«
    »Glaub ja nicht, wir ziehen dir dein Bankert auch noch groß, du kannst es dir ja mit Stricknadeln selbst aus dem Leib reißen, denn das Geld für die Engelmacherin haben wir nicht!«, brüllte meine Mutter und schlug mit den Fäusten auf Sieglinde ein. »Du niederträchtiges, undankbares triebhaftes Geschöpf. Du bist auch nicht besser als dein Vater, nicht einen Deut besser!«
    Ich war völlig perplex, dass Vater Sieglinde nun nicht zu Hilfe kam und nicht seinerseits die Mutter verdrosch, so wie er es bei mir getan hatte. Im Gegenteil! Er wurde weiß vor Zorn, und seine Hände zitterten, als er seinen Gürtel mit der mächtigen Schnalle aus der Hose zog und damit ebenfalls auf die arme Sieglinde eindrosch.
    »So hört doch auf, ihr schlagt sie ja tot!«, flehte ich und warf mich dazwischen. Ich hielt meine Hände schützend über sie und bekam nun selbst den Riemen und die Schnalle zu spüren.
    Meine Schwester robbte unter das Ehebett meiner Eltern, wo sie sich wie ein Igel zusammenrollte. Ganz hinten an der schimmeligen, feuchten Wand blieb sie liegen, stundenlang. Erst als meine Eltern Stunden später zu Bett gegangen und eingeschlafen waren, kroch sie zerschunden und gedemütigt hervor. Die Haare hingen ihr verklebt vor dem Gesicht, als sie zur Tür humpelte und ihre Jacke vom Haken riss. In dieser Nacht ist Sieglinde von zu Hause weggelaufen. Sie gab mir noch einen Abschiedskuss. »Danke, dass du mir geholfen hast, Gerti. Ich hau ab, ich weiß nicht wohin, aber überall auf der Welt ist es besser als hier.«
    Ich zog mir die Decke ans Kinn und weinte die ganze Nacht.
    Sie war der einzige Mensch gewesen, an den ich mich nachts Halt suchend schmiegen konnte.
    Am nächsten Morgen stand die Mutter am Spülstein und wusch sich unter den Armen. Als sie im winzigen, halb blinden Spiegel sah, wie ich vorsichtig aus der Vorratskammer gekrochen kam, drehte sie sich um, und ich befürchtete schon, sie würde ihre Wut über Sieglindes Verschwinden an mir auslassen. Doch sie sagte nur mit einer unglaublichen Verachtung in der Stimme: »Gerti, ich sage dir, lass nur die Finger von

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