Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
Durst wimmerten. Die Mutter hatte ihnen noch nicht mal ein Sonnenmützchen aufgesetzt, so sehr war sie mit sich selbst und ihrem heimlichen Geliebten beschäftigt. Mit meinen nunmehr fünfzehn Jahren hatte ich schon mehr Verantwortungsgefühl als die Mutter, die mich nur auslachte, als ich ihr meinen heftigen Sonnenbrand zeigte. »Stell dich nicht so an! Das bisschen Haut pellt sich bloß!«
So lag ich nachts auf meiner Pritsche und konnte mich vor Schmerzen nicht rühren. Eine lindernde Salbe gab es nicht, höchstens Ohrfeigen, wenn ich »mal wieder so wehleidig« war.
Der Sonntag war der einzige Lichtblick in diesem trostlosen Dasein. Die Che fi n machte sich in Parfümwolken gehüllt zu »ihrer Freundin« auf, und ich blieb mit den Kindern allein. Das waren Tage, an denen ich nach Herzenslust mit den Kleinen herumschmuste. Ich schenkte ihnen meine ganze Liebe, von der mein Herz so voll war. Wir stopften uns trockenes Brot in den Mund, tranken Wasser aus der Leitung – ein Luxus, den ich aus Glatten nicht kannte – und waren einfach nur glücklich, dass man uns in Ruhe ließ.
Nie hätte ich mich getraut, abzuhauen und zu meinen Eltern zurückzukehren. Erstens hätte ich nicht einen Pfennig für die Reise gehabt, zweitens ging ich davon aus, dass meine Eltern mich, genau wie Sieglinde, mit Schimpf und Schande davonjagen würden. Nie im Leben hätte ich mich getraut, an ihre Türe zu klopfen.
Wenn man so will, war ich zwei Jahre lang eine Sklavin, und das auf meinen eigenen ausdrücklichen Wunsch hin. Inzwischen war ich fünfzehn Jahre alt, es war wieder Herbst geworden, und draußen regnete es trostlos vor sich hin.
Die Kinder quengelten, die Che fi n hatte miserable Laune, der Chef glänzte wie immer durch Abwesenheit, als es an der Haustür klingelte. Die Che fi n, die sich gerade vor dem Spiegel schminkte, herrschte mich an: »Hast du Bohnen in den Ohren? Mach schon auf, du faules Stück!«
Ich stand gerade unten in der Waschküche und weichte die Windeln der Kinder ein. Hastig wischte ich mir die schwieligen Hände an meinem ausgeblichenen Kleid ab und rannte zur Tür.
»Wenn es der Briefträger ist, sag ihm, er soll warten!«
»Ja, Che fi n!« Das übliche Kindergeschrei überhörend, legte ich wie befohlen die Kette vor und spähte schüchtern durch den Türspalt.
Vor mir stand ein alter, tief gebeugter Mann in schmutzigen Kleidern. Er hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen und sah jämmerlich verfroren aus. Von seiner Hutkrempe tropfte das Wasser, seine Schuhe waren völlig durchweicht. Ein Bettler oder so?
»Wer ist es?«, keifte die Che fi n von drinnen.
»Ich weiß nicht … «
Der Mann nahm den Hut ab und starrte mich aus seinem wächsernen Gesicht an. »Gerti!« Die Stimme war laut, wie das bei stark Schwerhörigen oft der Fall ist.
O Gott! Es war mein Vater! Wie alt er geworden war!
Eilig löste ich die Kette und öffnete die Tür.
»Um Gottes willen«, dröhnte Vater. »Wie siehst du denn aus, Kind!«
Ja, wie sah ich aus? Ich war dürr wie ein Skelett, wie die Flüchtlinge nach dem Krieg, die damals bei uns um Wassersuppe gebettelt hatten. Meine Augen saßen tief in ihren Höhlen, ich stank und war verdreckt. Schnell versteckte ich die Hände hinter dem Rücken.
»Zeig her!« Der Vater packte meine Arme und starrte auf meine wunden Handflächen. »Was haben die denn mit dir gemacht?«
»Nichts, ich habe gearbeitet. Sie haben zwei kleine Kinder und eine Samenhandlung, und ich bin für den ganzen Haushalt zuständig.«
»Gerti! Was schwatzt du da an der Tür? Mach gefälligst mit deiner Arbeit weiter!« Die Che fi n kam zornig herbei und hatte schon die Hand gehoben, um mir eine Kopfnuss zu geben. »Wer sind Sie, was wollen Sie?«, herrschte sie meinen Vater an. »Wir kaufen nichts, Betteln und Hausieren ist verboten!«
»Was haben Sie mit ihr gemacht?«, brüllte mein Vater und hielt ihr anklagend meine Hände unter die Nase. »Wie soll sie damit arbeiten?!«
»Das geht Sie gar nichts an!« Die Che fi n wollte meinem Vater die Tür vor der Nase zuschlagen, aber er schob seinen Fuß dazwischen. »Lassen Sie mich rein!«
Inzwischen schoben Nachbarn schon neugierig die Gardinen beiseite. Die Che fi n war sowieso nicht beliebt, und einen Skandal wollte sie wohl vermeiden, und so durfte mein Vater das Haus betreten. Der Anblick der liegen gebliebenen Arbeit, der rotznasigen Kinder und der aufgetakelten Che fi n, die noch ihren Lippenstift in der Hand hatte, versetzte ihm einen
Weitere Kostenlose Bücher