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Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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abends alleine rum und steigert sich in Gedanken hinein … «
    »Trinkt er zu viel?«
    »Ja. Nein. Das auch. Aber … « Henry Meyer schien zu bereuen, dass er das Thema überhaupt angeschnitten hatte. »Er verliert manchmal das rechte Maß . Wenn jemand so gar keine Kritik erfährt und alle bedingungslos tun, was er sagt, kann das … .« Er zögerte und legte den Kopf schief. »Dann kann das auch nach hinten losgehen.« Ein verlegenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Und damit meine ich gravierende Fehlentscheidungen und auch eine gewisse Selbstüberschätzung, die uns hier alle mit in die Tiefe reißen kann. Wir haben ihm schließlich unsere gesamten Ersparnisse anvertraut.«
    Ich schluckte trocken.
    Wortlos wandte er sich ab und verschwand in der Menge.

14
    In der vierten und letzten Woche meines Aufenthalts passierte etwas höchst Unangenehmes: während des Essens brach mir der halbe Vorderzahn ab.
    Leo lachte. »Jetzt siehst DU aber aus wie Dracula!«
    »Oh, Mist, Leo, so kann ich doch nicht rumlaufen … « Errötend schaute ich in meinen perlenbesetzten kleinen Taschenspiegel.
    »Das sieht ja … asozial aus.« Ich schnitt eine Grimasse und schämte mich.
    Leo wollte sich schier kaputtlachen über meinen Anblick. »Jetzt musst du dich nur noch in der Fußgängerzone von Reutlingen auf eine Bank setzen und einen Plastikbecher vor dich hinstellen!«
    »Leo, das ist nicht lustig!«
    »Geh doch zum Zahnarzt! Es gibt hier einen Deutsch sprechenden Dentisten in der Zulungu Street.«
    Jasper, der schwarze Fahrer, brachte mich dorthin. Es war eine schmuddelige Gegend, und ich bat Jasper zu warten. Das hatte er sowieso vor.
    »Ich nix Missis lassen allein!«
    Schon beim Betreten der sogenannten Praxis hätte ich am liebsten gleich wieder kehrtgemacht. Der Zahnarzt schien die dunkle Bruchbude auch als Privatwohnung zu nutzen. In einer Art vergammeltem Wohnzimmer, in dem es nach Asche und Alkohol stank, stand ein Behandlungsstuhl aus dem vorigen Jahrhundert, und die Instrumente, die ich hier sah, waren ebenso wenig vertrauenerweckend. Mit einem mulmigen Gefühl nahm ich Platz und entdeckte eine schwarze Mülltonne. Darin lagen blutige Bandagen und gezogene Zähne, was meinen Ekel verdreifachte. Links neben mir befand sich ein porzellanener Spucknapf, in dem der Herr Doktor wohl seine letzte Zigarette ausgedrückt hatte. Auf dem Wohnzimmertisch stand eine angebrochene Tasse Kaffee, daneben eine fast leere Flasche Rum. Der Zahnarzt schien hier viel Freizeit zu haben.
    Alles stank fürchterlich in der Hitze. Ich kämpfte mit Brechreiz, als der Zahnarzt hereinkam. »Na, schöne Frau, wo brennt’s denn?« Er hatte sich drei fettige Haarsträhnen über die schwitzende Glatze gekämmt, seine eigenen Zähne waren schief und gelb: Ein Zahnarzt, wie man ihn sich in seinen schlimmsten Albträumen nicht ausmalt.
    »Oh, ich glaube, ess ist gar nicht mehr sso sslimm«, lispelte ich verzweifelt.
    »Ah, ich sehe schon, der rechte obere Vorderzahn, machen Sie den Mund mal schön weit auf.«
    Dr. Kinski griff schon nach einem rostigen Spiegel und einem Hakeninstrument.
    »Nein, ich denke, dass iss nicht nötig … «
    Hastig rappelte ich mich auf. »In diessem Drecksstall lasse ich mich nicht behandeln!« Der schwitzende Zahnarzt, dessen Kittel falsch zugeknöpft war, betrachtete mich mit einer Mischung aus Bewunderung und Melancholie. Er hatte eindeutig eine Fahne.
    »Wissen Sie was, junge Frau? Das kann ich Ihnen noch nicht mal verübeln. Sie kommen sicherlich frisch aus Deutschland und sind was Besseres gewöhnt.«
    »Ja. Und da fahre ich auch wieder hin.« Ich wollte mich hastig davonmachen.
    »Sie sind wohl nur auf Urlaub hier?«
    »Ja, ähm … nein, ich habe gerade beschlossen, hierherzuziehen. Mein Mann ist Leo Wolf … «
    »Oh, da haben Sie aber Pech gehabt.«
    Ich fuhr herum. »Wie bitte?«
    Der Zahnarzt winkte ab. Beim Anblick seiner nikotingelben Fingernägel wusste ich, dass meine Entscheidung gegen ihn die Beste meines Lebens gewesen war.
    »Na ja, weil ich hier der einzige weiße Zahnarzt bin. Und bei einem Schwarzen würde ich es an Ihrer Stelle lieber nicht versuchen. Außer Sie wollen sich bei einem Voodoo-Krieger alle Zähne raushauen lassen…« Er lachte wie ein trauriger Kobold.
    »Ich gehe zu meinem Doktor Sieker in Reutlingen«, stieß ich hastig hervor. »Der hat eine supermoderne Praxis eröffnet, von einem Kredit meines Mannes. Alles vom Feinsten und auf dem neuesten Stand. Der gibt mir gleich nach

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