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Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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welche Arbeitsbedingungen schlimmer waren. Jedenfalls schwor ich mir, meine treue Ona niemals zu beleidigen oder zu demütigen.
    Sie stammte von einer Herero-Familie ab, ursprünglich Nomaden, die von der Rinderzucht lebten. Ihre Sprache bestand anders als Afrikaans, das wie Holländisch klingt und von den Weißen eingeführt wurde, nur aus schnalzenden Lauten. Die rissen uns oft zu Lachstürmen hin, das heißt, eigentlich lachten wir nur über uns selbst, wenn wir versuchten, sie nachzumachen. Sie war eine eigensinnige, stolze Frau voller Geheimnisse. Ich hatte großen Respekt vor ihr und wollte ihr gern etwas Gutes tun. Und so gab ich ihr auch statt der vereinbarten zwanzig Mark am Ende dieser Woche dreißig Mark.
    »Das war ein Fehler!«, sagte Leo, der mal wieder aufgetaucht war und mit weit aufgeknöpftem Hemd in seinem Ledersessel lag. »Du wirst sehen, sie kommt morgen nicht.«
    »Natürlich kommt sie! Sie liebt mich!«
    Im Gegensatz zu Jasper, unserem Boy, der in der fensterlosen Steinbaracke am Ende des Gartens wohnte, die eigentlich für Gartengeräte vorgesehen war, lebte Ona in jenem berüchtigten Getto namens Katutura, das wörtlich übersetzt »Der Ort, an dem man nicht wohnt« heißt. Sie lief morgens auf der staubigen Ausfallstraße die fünf Kilometer bis zu unserem Anwesen, und abends, meist mit Essen im Eimer auf dem Kopf, wieder zurück. Ich sah mich als Kind mit dem Handwagen die fünf Kilometer am Bach entlanggehen, ins Dorf, in die Schule, ins Waschhaus, Tag für Tag. Für Ona war die Welt in Ordnung, und das sollte sie auch bleiben.
    Wie gerufen kam Ona herein und fragte kurz vor dem Gehen nach den Knochen, die die Hunde im Garten vergraben hatten. Wollte sie die etwa in die Suppe tun? Nach der Geschichte mit dem Stock wunderte mich gar nichts mehr.
    »Ja, pass nur auf, was sie damit vorhat.« Leo verschränkte die Arme hinterm Kopf und hatte sich bereits seinen ersten Whiskey einverleibt.
    Feigen wollte Ona auch mitnehmen. Und Hirse. Sie tat alles in den Eimer.
    Okay, natürlich, gern. Alles was sie wollte, sollte sie haben.
    Am nächsten Morgen kam sie nicht.
    Am übernächsten auch nicht.
    Ich fragte den Boy, wo sie bloß steckte.
    »Ona dreißig Mark«, sagte der nur und winkte ab. »Ona Rausch.«
    »Wie? Von dreißig Mark ist mein Mann gerade drei Stunden im Rausch, aber doch nicht drei Tage?«
    »Sieben Tage!«, mutmaßte Jasper fachmännisch. »So lange Ona Rausch!«
    Und so war es dann auch. Nach genau einer Woche kam Ona zurück.
    »Ona Kopf Karussell.«
    Sie fächerte sich Luft zu und schüttete mehrere große Gläser Wasser in sich hinein.
    »Aber was hast du die ganze Woche gemacht, Ona?«
    Abgesehen davon, dass ich nach Herzenslust gebügelt, gestaubsaugt, gekocht und geputzt hatte, hatte ich sie doch vermisst.
    »Ona Bier. Ganze Woche Rausch.«
    »Wo hattest du denn das Bier her, Ona?«
    »Knochen. Hirse, Feigen. Und Geld.« Ihre Augen wurden tassengroß. »Dreißig Mark! Ganz Katutura hat gefeiert! Alle Kopf Karussell, ganze Woche keiner Arbeit!«
    Da wusste ich, dass Ona nicht mit Geld umgehen konnte.
    Von nun an gab ich Ona kein Geld mehr. Nur noch Lebensmittel, die sie dann abends auf dem Kopf heimtrug.
    So langsam wurde ich mit den herrschenden politischen Verhältnissen vertraut.
    Unter dem südafrikanischen Apartheids-Regime waren alle Schwarzen aus Windhoeks Innenstadt vertrieben worden. Natürlich hatte es aufseiten der Schwarzen heftige Proteste gegeben, die blutig niedergeschlagen wurden. Der sogenannte Aufstand an der Alten Werft von 1959 war ein Wendepunkt in der Geschichte des heutigen Namibias gewesen: Dabei kamen elf Menschen ums Leben, knapp fünfzig wurden schwer verletzt. Der damalige Landeshauptmann verfügte, keinem der verletzten Aufständischen dürfe medizinische Hilfe erteilt werden. Selbst Missionare akzeptierten, dass keine Blutspenden des Roten Kreuzes an Verwundete abgegeben werden durften. Die schwarze Bevölkerung wurde aus ihren angestammten Wohngebieten in menschenunwürdige Gettos ohne Wasser und Strom zwangsumgesiedelt. Im August 1968 war die Rassentrennung abgeschlossen. Fast alle Schwarzen lebten in ihren »Townships«, angeblich völlig freiwillig. Eines davon war Katutura. Dort gab es viertausend winzige Hütten oder besser Baracken, in denen vielköpfige Familien aus verschiedenen Stämmen lebten. Dass sich die Stämme auch noch untereinander bekriegten, davon hatten wir deutschen Hausfrauen keinen Schimmer. Unterschwellig wuchs jedoch bei

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