Gefangen in Deutschland
ich mir für den ersten Samstag im Oktober vor, nach Hause zu fahren und ein paar schöne Stunden mit ihr zu verbringen. Mahmud war von meinem Vorhaben nicht gerade begeistert. Da aber die Mutter in der islamischen Kultur einen hohen Stellenwert besitzt, verbot er mir den Besuch bei ihr auch nicht. Lediglich die Tatsache, dass ich ihn nicht um seine Begleitung gebeten hatte, sorgte für Zündstoff zwischen uns. Mit ihm gemeinsam fahren wollte ich aber auf keinen Fall. Ich wollte erst allein mit meiner Mutter über die Veränderungen reden, die in meinem Leben stattgefunden hatten. Sie wusste zwar, dass ich inzwischen mit einem Mann türkischer Herkunft zusammenlebte, aber sie hatte keine Ahnung, was das für meinen Alltag bedeutete.
Nachdem sich Mahmud von mir Anschrift und Telefonnummer meiner Mutter hatte geben lassen, lieh er mir für die Fahrt sogar sein Auto. Gut gelaunt machte ich mich auf den Weg. Die Autobahn war frei, und so bog ich bereits eine gute Stunde später in die Straße ein, in der mein Elternhaus stand. Meine Mutter freute sich sehr, mich nach all den Monaten, die wir uns nicht gesehen hatten, endlich wieder in die Arme schließen zu können. Allerdings hielt ihre Freude nicht sehr lange an.
»Du siehst schlecht aus, Katja«, stellte sie mit besorgter Miene fest. »Hast du Sorgen oder Stress bei deiner Ausbildung?«
»Nein, nein, Mama! Ich nehme an, dass der Umzug einfach seine Spuren bei mir hinterlassen hat«, versuchte ich abzuwiegeln.
Aber so schnell konnte ich meine Mutter nicht hinters Licht führen.
»Du bist eine junge Frau, Katja! In deinem Alter kann einem ein Umzug doch nicht so zusetzen!«, erwiderte sie.
Ich kannte meine Mutter gut genug, um zu wissen, dass sie nicht eher Ruhe geben würde, bis ich ihr den Grund für mein schlechtes Aussehen genannt hätte. Also brachte ich es lieber gleich hinter mich und erzählte ihr von Mahmuds zunehmenden Bestrebungen, mich in meiner Freiheit einzuengen, und von meiner wachsenden Angst vor ihm.
»Ich hoffe, du weißt was du da tust!«, war ihr einziger Kommentar zu meinen Schilderungen.
Doch der sorgenvolle Ausdruck auf ihrem Gesicht hatte sich noch vertieft. Zugleich wusste sie, dass es keinen Sinn gehabt hätte, mir einen Vortrag über die Emanzipationsgeschichte der Frau zu halten. Ich versprach ihr, Mahmud bei meinem nächsten Besuch mitzubringen, damit sie sich selbst ein Bild von ihm machen könnte. Sie erzählte mir noch den neuesten Klatsch aus unserer Verwandtschaft, und später gesellte sich auch mein Bruder Ralf hinzu, der nach wie vor zu Hause wohnte.
Fast zwei Stunden später, als ich eigentlich geplant hatte, brach ich auf, um den Heimweg anzutreten. Ich freute mich darauf, Mahmud wiederzusehen und ihm von der Begegnung mit meiner Familie zu erzählen. Leider verlief die Rückfahrt nicht ganz so glatt wie die Hinfahrt: Auf der Autobahn hatte es einen schweren Unfall gegeben und ich stand eine ganze Weile im Stau, bevor ich den Rest der Strecke bewältigen konnte. Als ich das Auto endlich auf unserem Parkplatz zum Stehen gebracht hatte, war es längst stockdunkel draußen.
Während ich auf unser Wohnhaus zuging, konnte ich gerade noch Mahmuds Kopf sehen, der sich von unserem hell erleuchteten Küchenfenster wegbewegte: Er musste hinter der Scheibe auf mich gewartet haben. Als ich die Wohnungstür aufschloss, stand er mit verschränkten Armen im Flur, um mich zu empfangen.
»Wo kommst du her?«, wollte er sofort von mir wissen, bevor ich ihn überhaupt begrüßen konnte.
»Schatz, was soll die Frage? Du weißt doch, dass ich bei meiner Mutter war!«, antwortete ich.
Ich fühlte, wie sich eine mir inzwischen wohlbekannte Angst in meinem Körper breitmachte. Tatsächlich begann Mahmud ohne Vorwarnung loszubrüllen.
»Du willst mich wohl für dumm verkaufen, Katja! Du brauchst für die Hin- und Rückfahrt insgesamt zwei Stunden – drei Stunden wolltest du dort bleiben. Dann hättest du spätestens um sieben Uhr wieder hier sein müssen! Jetzt ist es aber schon fast zehn!«, rechnete er mir vor. »Ich frage dich zum letzten Mal: Wo warst du die restliche Zeit?«
Die ganze Situation erschien mir so absurd, dass ich bei aller Panik einen unwillkürlichen Lachreiz verspürte. Natürlich versuchte ich diesen mit aller Macht zu unterdrücken, was mir jedoch nicht wirklich gelang. Jedenfalls dachte Mahmud wohl, ich wollte ihn auslachen, denn plötzlich rastete er total aus. Bevor ich mich versah, traf mich sein Fausthieb mitten
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