Gefangen in Deutschland
zurückzustoßen, wenn er mich berührte oder küsste. Ich ließ es einfach über mich ergehen. Solange ich noch nicht wusste, wie ich meinem Gefängnis entkommen könnte, wollte ich nicht riskieren, wieder geschlagen zu werden.
Um meiner neuen Rolle als brave, folgsame Frau und Partnerin gerecht zu werden, musste ich eine unbändige innere Kraft aufbringen. Ich befand mich in einer ständigen Anspannung und schaffte es kaum mehr, mich zu konzentrieren. Dieser Zustand blieb natürlich auch meinen Vorgesetzten in meinem Ausbildungsbetrieb nicht verborgen. So kam es, dass ich eines Tages ins Büro meines Chefs gerufen wurde.
»Frau Schneidt, ich möchte gar nicht lange um den heißen Brei herumreden«, empfing mich der Betriebsleiter. »In letzter Zeit häufen sich die Beschwerden über Ihre Arbeitsweise. Ihre Kollegen haben mir zugetragen, dass Sie oft nicht bei der Sache sind und Ihnen massenweise Fehler unterlaufen. Sie wissen, dass ich so ein Verhalten nicht dulden kann.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Ich habe den Betriebsrat dazu angehört, und wir sind uns einig geworden, dass wir uns von Ihnen trennen müssen.«
Sichtlich verlegen begann er einige Unterlagen auf seinem Schreibtisch zu sortieren.
Mit einem Angriff auf dieser Flanke hatte ich nun gar nicht gerechnet. Meine Arbeit war mein letzter Ankerplatz in einem normalen Leben gewesen, meine letzte Chance, ich selbst, Katja Schneidt, zu sein und nicht das willenlose Wesen, zu dem Mahmud im Begriff war, mich zu machen. Wenn ich meinen Ausbildungsplatz nun auch noch verlor, würde gar nichts mehr von meinem früheren Ich übrig bleiben und ich wäre seiner Willkür und Kontrolle für alle Zeiten ausgeliefert. Du musst kämpfen, schoss es mir durch den Kopf, du musst um diesen Ausbildungsplatz kämpfen, wenn du auch nur einen Zipfel deiner Unabhängigkeit behalten willst! Aber dazu fehlte mir im Moment leider jegliche Kraft. Ich wusste zwar, dass ich das Arbeitsrecht auf meiner Seite hatte, schließlich war ich Auszubildende und konnte gar nicht so einfach gekündigt werden. Bisher hatte ich mir noch keine einzige Beschwerde wegen Fehlverhaltens oder gar eine Abmahnung eingehandelt. Aber ich war auch klug genug zu wissen, dass meine Ausbilder mir den Arbeitsalltag zur Hölle machen konnten, wenn sie es darauf anlegten. Und noch einen Kriegsschauplatz wollte ich mir einfach nicht eröffnen.
Tonlos teilte ich meinem Chef mit, dass ich mit einer Beendigung meines Arbeitsverhältnisses einverstanden sei, und ließ mich mit sofortiger Wirkung beurlauben. Erst auf dem Nachhauseweg wurde mir bewusst, was das in letzter Konsequenz für mich bedeutete: Ohne diese Ausbildungsstelle wäre ich nicht nur emotional, sondern auch finanziell vollkommen abhängig von Mahmud. Ich würde mir schnellstmöglich einen neuen Job suchen müssen, wenn ich ihn nicht auch noch um Geld anbetteln wollte. Wie sollte ich jemals meine Fluchtgedanken in die Tat umsetzen, wenn mir jegliche wirtschaftliche Mittel für den Aufbau einer eigenen Existenz fehlten?
Als Mahmud am Abend nach Hause kam und von dem Verlust meines Ausbildungsplatzes erfuhr, machte er auf mich nicht den Eindruck, als bedauerte er dies.
» Benim sevgili (mein Liebling), das ist doch kein Problem! Dann hast du wenigstens mehr Zeit, dich um den Haushalt zu kümmern. Außerdem kannst du dann endlich auch mal damit anfangen, Türkisch zu lernen«, war sein einziger Kommentar dazu.
Ich verzichtete darauf, ihn zu belehren, dass es in Deutschland von immenser Bedeutung sei, eine abgeschlossene Ausbildung vorzuweisen und ich allein mit türkischen Sprachkenntnissen sicherlich keinerlei berufliche Perspektiven haben würde.
Als wir später beim Abendessen saßen, rückte Mahmud ebenfalls mit einer Neuigkeit heraus.
»Mein Bruder Ogün wird mit seiner Frau in unsere Nachbarschaft ziehen. Du weißt ja, dass bei Petra und Ahmed im Haus eine Wohnung frei geworden ist. Ogün hat heute den Mietvertrag unterzeichnet.«
Erfreut blickte ich auf. Diese Nachricht fand ich wirklich erfreulich. Ich mochte Ogüns Frau Aysegül sehr. Ich hatte ja fast keinen Kontakt mehr zu meinem alten Freundeskreis. Nur mit Nina telefonierte ich hin und wieder. Die Verbindung zu Petra sah Mahmud auch nicht gern, sodass ich sie nur sporadisch treffen konnte. Ich hoffte, mit Aysegül eine Freundin zu bekommen, mit der ich mich aussprechen könnte und die mir vielleicht sogar bei meiner geplanten Flucht helfen würde.
Ich fieberte dem Umzugstag
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