Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
war egoistisch von ihr und dumm, aber niemand kann sagen, was in einer Ehe wirklich vorgeht. Du solltest versuchen, sie nicht zu verurteilen. Mir ist klar, dass das völlig schwachsinnig für dich klingt, aber glaub mir – ich habe genau dasselbe durchgemacht, und es bringt rein gar nichts, deine Eltern zu hassen, auch wenn sie sich noch so schwachsinnig benehmen.«
»Kann sein«, räumte April ein. Trotzdem war sie immer noch zu wütend, um für vernünftige Argumente zugänglich zu sein, auch wenn ihre beste Freundin aus bitterer Erfahrung sprach.
»Wieso können sich Erwachsene eigentlich nie wie Erwachsene benehmen? Ständig erzählen sie uns, was wir zu tun und zu lassen haben, regen sich darüber auf, wie wir uns anziehen, wie wir reden, und dann schleichen sie sich einfach davon und tun die ekelhaftesten Dinge. Werden wir eines Tages genauso sein wie sie?«
»Wir können nur versuchen, es besser zu machen. Falls wir es schaffen«, gab Fiona traurig zurück. »Ich weiß, dass du im Moment stocksauer auf deine Mum bist, aber sie anzuschreien hilft dir auch nicht weiter. Wie gesagt, ich weiß, wovon ich rede.«
»Tut mir leid, Fee, ich wollte keine alten Wunden aufreißen.«
»Blödsinn. Ich bin darüber hinweg. Man muss sich eben klarmachen, dass sie auch nur Menschen sind. Das ist der Knackpunkt an der Sache. Man denkt immer, sie müssten auf alles eine Antwort haben, und dann stellt man fest, dass sie genauso wenig Ahnung haben wie wir. Das ist ziemlich übel, wenn man es das erste Mal merkt.«
»Trotzdem ist es noch lange keine Ausrede, oder?«
»Nein, natürlich nicht. Aber im Grunde geht es doch darum, dass deine Mum immer noch deine Mum ist und es auch immer bleiben wird. Im Moment willst du vielleicht nichts mit ihr zu tun haben, aber eines Tages ändert sich das auch wieder.«
»Ich kann ihren Anblick nicht ertragen.«
»Dann geh ihr eben für eine Weile aus dem Weg. Sonst sagst du nur Dinge, die du später bereust. Besser gesagt, schreist …«
Fiona hatte völlig recht. Im Moment würde sie am liebsten jemanden anschreien. Oder ins Gesicht schlagen. Und Mr Sheldon war ihr Lieblingskandidat dafür.
»Wenn ich meine Mutter schon nicht anschreien kann, dann vielleicht ihn. Gott, ich würde diesem Sheldon am liebsten die Gurgel umdrehen.« Sie trat gegen eine Wurzel, die aus dem Boden ragte.
»Das kann ich mir vorstellen. Aber für ihn gilt genau dasselbe – geh ihm lieber aus dem Weg. Du willst doch keinen Schulverweis riskieren, wo du diesen Peter gerade so weit gebracht hast, dass er dich bei deinen Ermittlungen unterstützt.«
Nachdenklich sah April zu, wie der Regen von den Blättern tropfte.
»Glaubst du, meine Mum hat sich an diesem Tag mit ihm getroffen?«, fragte sie. »Sie schwört zwar, dass ihre Affäre zu dieser Zeit längst beendet war, aber bisher hat sie mir die ganze Zeit nur Lügen aufgetischt.«
»Gut möglich«, sagte Fiona. »Aber spielt das jetzt wirklich noch eine Rolle?«
»Natürlich tut es das!«, rief April. »Wenn sie tatsächlich auf dem Weg zu einem Rendezvous mit ihm war, macht es das nur noch schlimmer!«
»Aber warst du nicht unmittelbar vor der Tat mit Mr Sheldon zusammen?«
»Ja, er ist in seinem blöden Sportwagen davongefahren. Aber er hätte auf direktem Weg hierherfahren und meinen Vater umbringen können. Und …«
»Was?«
»Na ja, vielleicht war meine Mutter ja deshalb nicht zu Hause. Vielleicht hat der Falke es ja so eingefädelt, dass sie nicht da ist, weil er sie aus dem Weg haben wollte, damit es keine Zeugen gibt. Und vielleicht hat sie deshalb gelogen, wo sie zum fraglichen Zeitpunkt war.«
Fiona schwieg einen Moment.
»Möglich, aber findest du nicht auch, dass das ein bisschen sehr viele ›Vielleichts‹ sind?«
»Kann sein. Aber irgendjemand muss doch wissen, was damals passiert ist.«
»Mr Sheldon, zum Beispiel. Vielleicht solltest du ihn einfach fragen.«
»Ich kann wohl schlecht zu ihm gehen und sagen: ›Hey, Mr Sheldon, ich habe gerade erfahren, dass Sie mit meiner Mutter ins Bett gestiegen sind, und mich gefragt, ob Sie rein zufällig auch meinen Dad umgebracht haben‹.«
Wieder herrschte einen Moment lang Stille in der Leitung.
»Was ist?«, fragte April. »Meinst du etwa, das sollte ich tun?«
»April, du bist meine beste Freundin, und wenn ich an all das denke, was du in den letzten Monaten durchgemacht hast, packt mich die kalte Angst. Ich will auf keinen Fall, dass du dich durch irgendetwas noch mehr in Gefahr
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