Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
Polizei gerade angerufen, und ich bin nach Hause gerast.«
»Nein«. April tippte mit dem Finger auf die Aufnahme. »Sieh dir die Uhrzeit an. Du hast der Polizei erzählt, du wärst um diese Uhrzeit bei Grandpa gewesen. Und mir auch. Du hast mich angelogen.«
Silvia stand wortlos da, was Aprils Zorn nur noch weiter schürte.
»Ach ja?«, schrie sie. »Du leugnest es also nicht mal? Kein ›Nein, du hast da etwas falsch verstanden, April‹?«
»Was soll ich denn leugnen, April?«, fuhr Silvia sie an. »Was soll ich getan haben? Dann war ich eben woanders. Ich werde dir nicht haarklein erzählen, wo ich zu jedem Zeitpunkt meines Lebens bin. Weil ich dazu nämlich nicht verpflichtet bin.«
»Aber es war wichtig! Hier geht es nicht darum, dass du zu einem Kosmetiktermin fährst, von dem keiner etwas mitkriegen soll, sondern das hier ist dein Alibi für den Zeitpunkt, als Dad ermordet wurde.«
»Das hast du mir also zugetraut? Du dachtest allen Ernstes, ich hätte ihn getötet?«
April schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht der Punkt. Es geht um Vertrauen. Wenn du mir noch nicht mal die Wahrheit darüber sagen kannst, wo du warst, als Dad gestorben ist, wie soll ich dir noch irgendetwas glauben?«
»Als würdest du das jemals tun.«
»Ach, werd endlich erwachsen!«, schrie April. »Ich bin es leid, dass du dich wie ein Teenager aufführst. Ehrlich gesagt sind die meisten meiner Freunde reifer als du.«
»Was willst du eigentlich von mir?«
»Die Wahrheit, Mum. Wo warst du?«
Silvia wandte den Blick ab. »Das willst du nicht wirklich wissen.«
»Doch, natürlich will ich es wissen! Denn wenn du mir keine plausible Erklärung dafür geben kannst, muss ich davon ausgehen, dass du mir etwas verheimlichst.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, dass du etwas mit Dads Tod zu tun hast.«
»Das ist doch lächerlich, April. Ich habe deinen Vater so sehr geliebt …«
» Hast ihn geliebt. Vergangenheitsform. Bevor er gestorben ist, hast du dich ihm gegenüber wie das letzte Miststück benommen.«
»Sprich gefälligst nicht so mit mir!«
»Wieso nicht? Es ist die Wahrheit, das weißt du ganz genau. Wieso kannst du mir nicht sagen, wo du an diesem Tag warst?«
Silvia starrte auf ihre Hände.
»Weil ich mich schäme«, antwortete sie leise.
»Wieso?«
Sie sah April an. Tränen glitzerten in ihren Augen. »Weil ich deinen Vater im Stich gelassen habe.«
April spürte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte, als hätte sie eine dumpfe Vorahnung, was sie gleich zu hören bekäme. Etwas, nach dem nichts mehr so wäre wie vorher. Doch sie musste es wissen. Auch wenn es noch so schlimm war.
»Ihn im Stich gelassen?«
»Du musst verstehen, April … das Zusammenleben mit deinem Vater war alles andere als einfach. Er war völlig besessen von seiner Arbeit. Manchmal war er eine ganze Woche verschwunden, hockte in irgendeiner verlausten Bude in Moskau, und ich wusste nicht, ob er überhaupt noch lebt.«
»Das war nun mal sein Job«, unterbrach April ungeduldig. »Benutz das jetzt nicht als Ausrede.«
»Es gab auch noch … andere Probleme zwischen uns.«
»Oh Gott!« April schlug sich die Hand vor den Mund. »Du hattest eine Affäre, stimmt’s?«
Silvia brauchte nicht zu antworten. April sah ihr an, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
»Du warst noch klein, als es passiert ist. Ich habe mich so einsam gefühlt. Ich hatte niemanden, mit dem ich reden konnte. Und Robert war die Schulter, an der ich mich ausweinen konnte.«
»Robert?« April wurde übel. »Robert Sheldon? Du hattest eine Affäre mit Mr Sheldon?« Aber natürlich ! April hatte es zwar die ganze Zeit insgeheim vermutet, sich jedoch nie den Gedanken gestattet, dass es tatsächlich wahr sein könnte.
»Ich wollte deinen Vater nicht verletzen«, fuhr Silvia fort. »Aber es war fast, als würde er mich bestrafen.«
»Er? Dich bestrafen? Du warst doch diejenige, die mit dem Falken ins Bett gesprungen ist. Du bist absolut widerlich!«
»April.« Silvia trat auf sie zu.
»Fass mich nicht an!«, schrie sie und wich zurück. »Wie konntest du Dad so etwas antun! Noch dazu mit jemandem, den er aus tiefster Seele gehasst hat.«
Plötzlich war April klar, weshalb ihre Eltern sich so häufig angeschrien hatten. Früher, als April noch klein gewesen war, waren sie glücklich miteinander gewesen, doch dann war irgendetwas passiert – unmittelbar bevor sie nach Edinburgh gezogen waren, und seit dieser Zeit hatten sie sich pausenlos angegiftet und
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