Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
zu tun hatten. Außerdem war sie stinksauer auf ihn.
»Los, gehen wir.«
Caro zog April zu sich, während Gabriel sich in Bewegung setzte.
»Wenn unser Vampirboy hier den Tod riecht, gehe ich keinen Schritt weiter. Das ist doch eine dieser typischen Szenen, in denen irgendjemand aus dem Gebüsch springt und einem von uns den Kopf abreißt. Ich weiß das, ich habe mehr als genug Gruselschocker im Kino gesehen.«
»Sieh ihn dir doch bloß an«, flüsterte April eindringlich. »Es geht ihm total dreckig.«
»Ihm? Was soll ich erst sagen?« Sie hielt inne, als sie Aprils besorgte Miene sah. »Von mir aus. Also, was ist los mit ihm?«
»Offenbar sind all seine vampiristischen Instinkte noch intakt, nur hat er seine schützende Hülle verloren. Schätzungsweise nimmt er tausendmal mehr wahr als ein normaler Mensch. Die Gerüche sind für ihn viel intensiver, die Stimmen viel lauter … nur dass alles plötzlich eine Bedrohung für ihn ist. Das Problem ist, dass er nicht weiß, wie er damit umgehen soll.«
»Was nützt er uns dann? Ich dachte, er würde uns beschützen.«
»Er stirbt, Caro.«
Caro zuckte mit den Schultern und seufzte. »Okay, aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, wenn wir hier bald alle aufgeschlitzt werden wie die Brathühner.«
Sie folgten dem Pfad tiefer in den Wald hinein. Als sie aus dem Bus gestiegen waren, hatte die Dämmerung gerade eingesetzt, doch hier, zwischen den kahlen Zweigen, die sich zu einem Tunnel über ihnen zu vereinen schienen, herrschte düster-graue Finsternis.
»Wonach genau suchen wir?«, fragte Caro verdrossen. »Und wieso mussten wir ausgerechnet abends herkommen?«
»Laut Liber Albus müssen einige der Pflanzen in der Dunkelheit gepflückt werden, um ihre volle Wirkung entfalten zu können.«
April zog eine Taschenlampe und ihr Notizbuch heraus. Mit Gabriels Hilfe, einem Lateinwörterbuch, einem Online-Übersetzungsprogramm und einem Stapel Nachschlagewerke über heimische Waldpflanzen hatten sie und Caro eine Zutatenliste nebst Diagrammen und Fotos zusammengestellt, um sicherzugehen, dass sie auch die richtigen Pflanzen sammelten. April hatte befürchtet, es handle sich um sehr seltene Pflanzen, doch neben den meisten Fotos hatte »weit verbreitet« oder »Vorkommen: britische Nadelgehölze« gestanden. Außerdem hatte Mr Gill ihr das gute alte »Handbuch der Britischen Flora« in die Hand gedrückt, in dem sie alle Zutaten problemlos gefunden hatte.
»Als Erstes brauchen wir die sogenannte Spineroa nervosa oder auch Schwarzfarn«, sagte April, schlug eine mit einem Haftzettel in fluoreszierendem Pink markierte Seite auf, knipste die Taschenlampe an und zeigte Caro die Fotografie.
»Hm. Sieht wie ein ganz normaler Farn aus«, sagte Caro. »Nur eben schwarz.«
»Der Farn mag es offensichtlich feucht und schattig«, erklärte April.
»Dann ist das hier ja genau die richtige Umgebung für ihn.« Caro umrundete eine Matschpfütze und tauchte unter einem herabhängenden Ast durch. »Was ist hiermit?« Sie zog eine Pflanze aus dem Boden.
»Das ist ein Löwenzahn, Caro«, sagte April.
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?«
»Ich bin ja sooo froh, dass wir dich mitgenommen haben«, gab April sarkastisch zurück.
»Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit, Schatz.«
Je tiefer sie in den Wald vordrangen, umso dunkler wurde es. Das Unterholz wurde zusehends dichter, was bedeutete, dass es auch mehr Pflanzen geben musste. Mit Hilfe von Gabriels scharfen Augen und seiner feinen Nase hatten sie die Zutaten für den Drachenhauch im Handumdrehen beisammen.
»Seht mal da!«, sagte Caro. »Schwarzfarn!« Sie wateten durch die hüfthohen Farnwedel, die wenige Meter neben dem Wegrand wuchsen, und suchten die kräftigsten aus.
»Sehr gut«, lobte April, »jetzt brauchen wir nur noch …«
Abrupt presste Gabriel ihr die Hand auf den Mund und zog die beiden Mädchen auf den Boden.
»Still«, zischte er.
Wie erstarrt lauschten sie den näher kommenden Schritten – sie hörten sich flink an, so als stammten sie eher von einem Hund als von einem Menschen, doch Sekunden später erhaschte April einen Blick auf ein Paar weiße Turnschuhe.
»Hier entlang«, flüsterte jemand. »Sie dürfen uns nicht entwischen.«
Die Füße kamen für einen Moment zum Stehen, ehe sie sich wieder in Bewegung setzten und verschwanden, eilig und tiefer in den Wald hinein. Nachdem sie eine Minute lang wie erstarrt im Gebüsch ausgeharrt hatten, erlaubte Gabriel ihnen endlich wieder
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