Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
ohnehin hitziges Temperament schien seit dem Augenblick, als Gabriel vor zwei Tagen den Drachenhauch getrunken hatte, ununterbrochen auf dem Siedepunkt zu sein. Er hatte weder angerufen noch eine SMS geschickt, ja, noch nicht einmal ein Zeichen gegeben, dass er das Ganze lebend überstanden hatte. April hätte jedem, der sie reizte, am liebsten den Kopf abgerissen. Oder mitsamt dem Stuhl umgeschubst.
»Nein, vor vielen Jahren – genauer gesagt kurz nach Ihrer Geburt – hat Ihr Vater eine Lebensversicherung abgeschlossen«, erklärte der Anwalt. »Über eine ziemlich hohe Summe. Er hat verfügt, dass Ihre Mutter im Fall seines Todes nie wieder arbeiten muss, und dasselbe gilt wohl auch für Sie. Natürlich ist mir klar, dass Ihr Vater dadurch nicht wieder lebendig wird, aber es zeigt immerhin, dass er an Sie gedacht hat, finden Sie nicht auch?«
»Meine Tochter braucht keine Versicherungspolice als Beweis, dass ihr Vater sie geliebt hat, Mr Jones«, bemerkte Silvia.
»Nein, natürlich nicht. Aber, nun ja, diese Versicherungspolicen gibt es nicht gerade zum Schnäppchenpreis. Die monatlichen Raten müssen ein gewaltiges Opfer für ihn dargestellt haben.«
»Und geht Sie das irgendetwas an, Mr Jones?«
»Nun ja, in diesem Fall durchaus. Die Höhe der Versicherungssumme ist ja der Grund, weshalb ich mit Ihnen und nicht mit Ihrem Familienanwalt rede. Meine Abteilung ist auf ungewöhnliche Forderungen spezialisiert.«
»Ungewöhnlich?«, wiederholte Silvia. »Wollen Sie damit etwa andeuten …«
Er hob die Hand.
»Aber nein, keineswegs. Dieser Fall ist einzig und allein auf meinem Schreibtisch gelandet, weil es nicht an der Tagesordnung ist, dass ein Mann ein Viertel seines monatlichen Einkommens für eine Lebensversicherung hingeblättert hat. Okay, sein Job als Journalist mag nicht ganz ungefährlich gewesen sein, trotzdem ist es eine ziemliche Stange Geld. War Ihr Mann ein besonders umsichtiger Mensch?«
Silvia schnaubte. »Das würde ich nicht gerade behaupten. Sonst hätte er sich wohl kaum mit Recherchen über Drogenkartelle beschäftigt, oder?«
»In diesem Fall leuchtet mir nicht ganz ein … glaubte er vielleicht, dass er an einer Krankheit sterben würde, von der wir nichts wissen?«
»Oh, jetzt verstehe ich«, sagte Silvia. »Das ist ja mal wieder typisch Versicherung. Sie versuchen, sich aus der Affäre zu ziehen. Also, eines kann ich Ihnen gleich sagen …«
»Nein, nein, Sie verstehen mich ganz falsch, Mrs Dunne. Die Auszahlung der Versicherungssumme ist bereits genehmigt. Das Geld gehört Ihnen und Ihrer Tochter. Ihr Mann hat jeden Monat pünktlich seine Beiträge bezahlt, und in Anbetracht der Art, wie er zu Tode gekommen ist, gibt es keinerlei Zweifel an der Rechtmäßigkeit Ihrer Forderung. Das konnte niemand vorhersehen.«
»Was wollen Sie dann damit andeuten?«
»Gar nichts, Mrs Dunne. Ich frage aus reiner Neugier. Weshalb hat Ihr Mann eine so hohe Lebensversicherung abgeschlossen? Für mich ist das nur sehr schwer nachvollziehbar.«
»Vermutlich hat Ihr Vertreter ihm das Luxuspaket aufgeschwatzt. Vielleicht wollte er keine Gegenangebote zum Vergleich einholen, keine Ahnung. Aber wie Sie wissen, kann ich ihn ja nicht mehr selber fragen.«
Der Anwalt lief dunkelrot an.
»Nun ja, das stimmt natürlich, und ich möchte Ihnen auch im Namen unseres Unternehmens mein aufrichtiges Beileid zu Ihrem Verlust aussprechen.«
»Ach, tatsächlich. Ich bin nicht sicher, ob der Begriff Aufrichtigkeit überhaupt eine Bedeutung für Sie hat, Mr Jones.«
Silvia mochte an manchen Tagen eine echte Nervensäge und absolut unerträglich sein, aber es gab Momente, in denen April sie küssen könnte.
Sie verließen das Versicherungsgebäude und traten ins hektische Treiben auf der Straße. Es war so kalt, dass ihr Atem in weißen Wölkchen vor ihren Mündern schwebte.
»Was war das denn?«, fragte April. »Wieso hat der Typ all diese Fragen über Dad gestellt?«
Silvia seufzte. »Es ist sein Job. Diese Versicherungstypen sind doch allesamt miese kleine Schleimkröten, Schatz.«
»Nein, das meine ich nicht. Sondern ob es stimmt, was er gesagt hat. Hat Dad tatsächlich ein Vermögen für diese hohe Lebensversicherung ausgegeben?«
Silvia schüttelte den Kopf. »Geld war leider nie meine Stärke, deshalb hat Dad sich um unsere Finanzen gekümmert. Du glaubst doch nicht ernsthaft, ich hätte zugelassen, dass er unser ganzes Geld für etwas so Unnötiges wie eine Lebensversicherung ausgibt, oder? Selbst
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