Gefangene der Dunkelheit
sie beide sehen.«
Lebuin wartete unten in der großen Halle. Das Frühstück wurde wie üblich serviert. Verändert hatten sich nur die Gesichter an den aufgebockten Tischen. Siobhan schritt, wieder in ihrer Jungenkleidung und mit in einen Zopf zurückgebundenen Haaren, in der Nähe des offenen Kamins auf und ab. Silas sah den blau-schwarzen Abdruck von fünf Fingern an ihrer Kehle.
»Guten Morgen, Meister«, begrüßte Lebuin ihn und deutete auf einen Stuhl. »Habt Ihr gut geschlafen?«
»Nein«, antwortete Silas und blieb stehen, wo er war.
»Wer könnte schon gut schlafen?«, bemerkte Siobhan. Sie schaute zu Clare, die gähnte und hinter Silas Emmas Hand hielt, aber sie wandte ihren Blick rasch ab.
»Es war ein rechtes Chaos«, sagte Lebuin. Eine der Frauen stellte einen Holzteller vor den Brigantenführer und erwiderte sein freundliches Lächeln. »Aber ich erwarte, dass bald alles wieder normal verlaufen wird. Eure Arbeiter warten, Meister Silas.«
»Worauf warten sie denn?«, fragte er und verbarg sein Erschrecken.
»Sie warten darauf, dass Ihr ihnen zeigt, wie sie dieses verdammte Schloss fertigstellen müssen«, antwortete Siobhan, bevor ihr Bruder sprechen konnte. »Sean will, dass es sofort geschieht.«
»So wie Silas es bewerkstelligen kann«, korrigierte Lebuin sie. »Aber vor der Ernte, ja. Ist das mit den Euch zur Verfügung stehenden Arbeitern machbar?«
Als Silas sich umblickte, sah er seine Zimmermeister und Steinmetze gemeinsam an einem der Tische sitzen und ihn beobachten. Sie wirkten nervös und unglücklich, aber unverletzt. »Ihr wollt in DuMaine bleiben?«, fragte er.
»Ich beabsichtige in der Tat, hier auf den Ländereien meiner Vorfahren zu bleiben«, antwortete Lebuin, während kurzzeitig ein harter Ausdruck in seinen Augen aufflammte. »Das hier ist jetzt das Schloss meiner Schwester. Sie ist die Witwe DuMaines.« Silas hörte Clare hinter sich leise schluchzen. »Und was noch wichtiger ist, dieses Gutshaus gehörte schon unserem Vater, lange bevor DuMaine seine normannischen Stiefel auf englischen Boden gesetzt hat.«
»Nein«, äußerte Clare mit ihrer kleinen Stimme über das Murmeln ihres Kindermädchens hinweg vernehmlich. »Mein Vater ist nicht tot!«
»Armes Lämmchen«, sagte Lebuin seufzend.
»Hör auf, Sean«, erwiderte Siobhan und warf ihm einen ungeduldigen Blick zu. Sie kniete sich vor das kleine Mädchen, und Clare wich ängstlich vor ihr zurück. »Woher weißt du, dass er nicht tot ist?«, fragte die Briganten-Frau sie mit überraschend freundlicher Stimme.
»Weil er es versprochen hat«, antwortete Clare. »Er hat mir versprochen, dass die bösen Männer ihn nicht töten werden.«
»Die bösen Männer«, wiederholte Siobhan und schaute mit rätselhaftem Lächeln zu ihrem Bruder zurück. »Ja, Liebes, mir hat er dasselbe versprochen.« Das Kind war traurig, aber sie war nicht bemitleidenswert, wie Siobhan dachte, als sie in die aufgerissenen, grünen Augen blickte, die denen DuMaines so ähnlich waren. Sie war kein armes Lämmchen. »Vielleicht wird er sein Versprechen halten.« Sie würde irgendwie überleben müssen, diese Kleine. Sie würde irgendwie ohne ihren Papa weitermachen müssen, genauso wie Siobhan es selbst getan hatte, und sie hatte keinen Bruder, der ihr helfen und sie lehren konnte, wie man kämpft. »Gott sei mein Zeuge, Kind, dass dein Vater lebte, als ich ihn zuletzt sah.«
»Siobhan«, sagte Sean hinter ihr.
»Aber er ist fortgegangen«, schloss sie, ohne auf ihn zu achten. »Er musste fortgehen und dich bei Emma und Meister Silas zurücklassen, damit sie sich um dich kümmern.«
Clare blickte zu Silas hoch und bat lautlos um Bestätigung, und er lächelte. »Es stimmt, Mylady. Dies ist Lady Siobhan. Sie ist Eure Stiefmutter. Aber Emma und ich werden auch bleiben.«
»Ich bin froh, das zu hören, Meister«, sagte Lebuin. »Nun, was braucht Ihr von mir, um dieses Schloss rechtzeitig fertigzustellen?«
»Sean, hab Mitleid, lass ihn in Ruhe«, sagte Siobhan und erhob sich. »Er sagte dir bereits, dass er nicht geschlafen hat. Dein Schloss kann noch einen Tag warten.« Sie sah sich in der Versammlung um. »Wo ist Gaston?«
»Fort«, antwortete Lebuin, und seine gute Stimmung wankte, wie Silas bemerkte. »Er ist fortgegangen, um seinem Herrn zu berichten.«
»Seinem Herrn«, wiederholte Siobhan leise, und ihr bitteres Missfallen war unverkennbar. »Ich wünschte, er würde dort bleiben.« Sie schaute zu dem Gelehrten zurück. »Kommt,
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