Gefangene der Dunkelheit
Meister«, sagte sie zu ihm. »Ich habe heute Nacht ebenfalls nicht geschlafen.« Sie streckte die Hand aus, um Clares Wange zu berühren. Als das Kind zurückwich, lächelte sie. »Sean, ich bitte dich um Geduld.«
»Schon gut«, antwortete ihr Bruder. Diese beiden Briganten zu beobachten, verwirrte Silas mehr denn je. Es bestand offensichtlich eine große Liebe zwischen ihnen, sogar Herzensgüte. Wie konnten sie dann so viel Böses getan haben? »Ich überlasse Lady Clare deinem Schutz – so soll es sein. Würdest du Meister Silas in sein Zimmer bringen?«
»Ja«, antwortete Siobhan lächelnd. »Kommt, Meister Silas.«
Der Gelehrte bewahrte Ruhe, bis Emma und das kleine Mädchen im Zimmer des Kindes untergebracht waren. Aber als Siobhan ihn an der Tür seines Raumes verlassen wollte, hielt er sie am Ärmel fest. »Verzeiht, Mylady«, sagte er verdrossen, als sie sich ihm zuwandte. »Aber was soll aus Lady Clare werden?«
»Warum sollte mich das kümmern?«, fragte sie. »Das hat mein Bruder zu entscheiden.«
»Warum das?«, konterte er. »Ist sie jetzt nicht Eure Tochter?« Als sie nicht antwortete, betrat er den Raum und bedeutete ihr, ihm zu folgen. »Bitte …« Sie gab stirnrunzelnd nach und schloss die Tür hinter sich.
»Eure einzige Sorge ist das Schloss«, begann sie und wandte sich ihm erneut zu.
»Ihr habt dem Kind gesagt, Lord DuMaine würde noch leben«, unterbrach er sie. »War das die Wahrheit?«
Sie merkte, dass sich der alte Mann nicht davon würde abbringen lassen. Er mochte das kleine Mädchen offensichtlich, und das konnte sie ihm kaum vorwerfen. Aber sie hatte keine Zeit hierfür und auch keine Geduld. »Ich sagte ihr, DuMaine habe noch gelebt, als ich ihn zuletzt sah, und das stimmt«, antwortete sie. »Aber jetzt ist er tot, Meister Silas. Das, verspreche ich Euch, ist die Wahrheit.«
»Tatsächlich?«, antwortete er mit einem seltsamen Lächeln.
»Meine Worte an das Kind sollten ihm Hoffnung geben«, sagte sie und spürte, wie sie vollkommen unangemessen errötete. »Sie hat ihre Familie verloren, hat in einer einzigen Nacht alles verloren, was sie jemals gekannt hat.« Sie lächelte ebenso geheimnisvoll wie er. »Ich kann mich gut daran erinnern, wie sich das anfühlt.«
»Also stimmt es«, sagte er und wandte sich ab. Eine Seite des Raumes wurde von einem gewaltigen Eichentisch dominiert, der mit Schriftrollen und vielen seltsamen Instrumenten übersät war, deren Zweck sie nicht einmal erahnen konnte. Ein einzelner Sessel stand davor, und der Gelehrte ließ sich offensichtlich erschöpft hineinfallen. »Ihr und Euer Bruder habt einst auf diesen Ländereien gelebt.«
»Nicht einst, Meister. Immer.« Er entsprach überhaupt nicht ihrer Vorstellung von einem großen Baumeister. Er schien nicht hochmütig zu sein, hatte nichts von der Vornehmtuerei, die sie bei denen erwartete, die innerhalb des königlichen Kreises lebten. »Wir haben diesen Wald niemals verlassen, noch werden wir das jemals tun. Unser Vater war hier durch Geburt und Titel der Herr.«
»Und nun wird sein Sohn dieses Schloss halten«, antwortete er. »Oder eher seine Tochter.«
»Meinen Vater kümmerten Schlösser nicht«, erwiderte sie. »Ihn kümmerten nur seine Leute und deren Wohlergehen. Er wurde hier geboren. Seine Familiengeschichte reicht bis lange vor die Zeit zurück, als die Sachsen hierherkamen, bis in die Zeit Arthurs. Er war nicht irgendein Fremder, der gekommen war, um die Erde und die Menschen, die sie bearbeiten, vor der Rückkehr nach Frankreich um eines Vermögens willen auszubeuten.«
»Dennoch war es freundlich von DuMaine, für das Schloss zu bezahlen«, sagte Silas mit seinem seltsamen kleinen Lächeln.
»Er hat für nichts bezahlt«, erwiderte Siobhan. »Sein König …«
»Sein König kann kaum seine eigenen Truppen bezahlen«, unterbrach sie der Gelehrte lachend. »Nein, Mylady, ich versichere Euch. Tristan DuMaine hat aus seinen eigenen Truhen für diese Festung bezahlt. Er hat die Ländereien seiner Vorfahren in Frankreich verkauft, um das zu tun.« Ihre Augen verengten sich ungläubig. »Als Ihr und Euer Bruder die erste Anpflanzung verbranntet, benutzte er sein letztes Erbe, um weitere zu erwerben, damit seine Leute im darauffolgenden Winter nicht verhungern mussten.«
»Seine Leute«, höhnte sie. »Seine Sklaven, meint Ihr.«
»Seine Leute«, wiederholte er. »Diejenigen, zu deren Schutz er dieses Schloss gebaut hat.«
»Er hat es als ein Gefängnis gebaut!«, sagte sie in
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