Gefangene der Dunkelheit
Hände zu ringen, und trat zum Fenster. »Warum sie mich mag, weiß ich allerdings nicht.«
»Weil Ihr sie mögt.« Er blätterte das Buch durch, das noch immer geöffnet auf dem Tisch lag. »Ihr Vater war auch nicht der fröhlichste Mensch, falls Ihr Euch erinnert, aber sie liebte ihn sehr.«
»Liebt ihn, Silas«, korrigierte sie ihn und wandte sich wieder zu ihm um. »Sie liebt ihn sehr.«
Er lächelte, aber seine Augen wirkten skeptisch. »Ja«, stimmte er ihr zu. »Tristan lebt noch.« Er sah sie erneut von oben bis unten an, als könnte er seinen Augen nicht recht trauen. »Was nicht Euer Verdienst ist.«
»Ich wollte ihn töten«, räumte sie ein. »Ich dachte … bei Gott, Silas, ich weiß nicht mehr, was ich denke, oder auch nur, was ich fühle.«
Bevor er antworten oder sie die Nerven verlieren konnte, erzählte sie ihm in allen Einzelheiten von Tristans Rückkehr. Sie musste jemandem vertrauen. Sie war nicht klug genug, um das Chaos, zu dem ihr Leben geworden war, allein zu bewältigen. Sean würde sie niemals verstehen – das hatte er bereits bewiesen. Emma war lieb, aber sie war ein argloses Dienstmädchen mit noch weniger Erfahrung in solchen Angelegenheiten, als Siobhan selbst sie besaß. Michael hätte alles in seiner Macht Stehende getan, um ihr zu helfen, aber seine wahre Loyalität würde stets Sean gelten, und das konnte sie ihm kaum vorwerfen. Hätte sie nicht den Verstand verloren, gälte das für sie genauso. Silas, weise, freundlich und edel, war ihre einzige Hoffnung. »Es war Euer Buch, durch das ich herausfand, was Tristan ist«, schloss sie. »Es berichtet von einem Dämon, der ein Vampir genannt wird …«
»Es berichtet auch über Drachen in Schottland«, erinnerte er sie sanft.
»Und wenn Tristan mir mit Feueratem begegnete, würde ich auch glauben, dass er einer wäre«, konterte sie und erwiderte sein Lächeln. Es einfach nur ausgesprochen zu haben, war, als wäre ihr eine Last von der Brust genommen worden. »Aber das ist er nicht. Er ist ein Vampir.«
Er stand so lange einfach nur da und sah sie an, dass sie sich allmählich töricht fühlte. Dann nickte er. »Ja«, sagte er mit mattem Seufzen. »Ich glaube, das ist er.« Er bot ihr seine Hand an, und sie nahm sie, und der schlichte Trost dieser Geste trieb ihr die Tränen in die Augen. »Letzte Nacht wolltet Ihr ihn töten«, sagte er und strich ihr das Haar aus dem Gesicht, während sein Blick den ihren suchte. »Was wollt Ihr jetzt tun?«
»Ich weiß es nicht«, gab sie zu. Sie konnte das Schwert spüren, das unter ihrem Gewand an ihr Bein gebunden war und das sie so leicht erreichen konnte, aber der Gedanke daran, es erneut zu benutzen, ließ sie sich elend fühlen. »Alles hängt von diesem Mann ab, den der König gesandt hat, und von diesem Baron Seans, und vor allem … vor allem von Tristan selbst.« Sie drückte seine Hand, bevor sie sie losließ. »Er hat letzte Nacht genau hier in diesem Raum versucht, Sean zu töten, und hielt dabei meine Hand, genau wie Ihr es jetzt tut, als müsste ich es zulassen.« Sie wandte sich von ihm ab und schritt auf und ab, wobei ihr die Röcke um die Beine wogten. Wie konnte sich irgendjemand in solch einem Aufzug bewegen?, dachte sie. »Aber das kann ich nicht, Silas.«
»Natürlich könnt Ihr es nicht.« Sie wandte sich ihm wieder zu, und er umfasste sanft ihren Arm. »Als mich Euer Bruder zu Euch schickte, dachte ich, Ihr wolltet mich zum Tode verurteilen«, sagte er. »Da der Abgesandte des Königs kommt und ich die Wahrheit über Tristans Tod kenne, schien es nur logisch.«
»Sean dachte dasselbe«, räumte sie ein. »Ich habe ihn überzeugt, mich mit Euch sprechen zu lassen, um entscheiden zu können, was das Beste wäre.« Allein der Gedanke daran war schrecklich, das war ihr klar. »Er ist kein schlechter Mensch, Silas. Ihr müsst verstehen …«
»Ich verstehe ja, Mylady«, unterbrach er sie sanft.
»Aber ich schwöre, ich werde nicht zulassen, dass er Euch ein Leid antut«, schloss sie. »Ich fürchte, ich bin keine gute Brigantin mehr, Silas. Ich wünsche niemandem mehr Böses.«
»Möge das für immer so bleiben«, erwiderte er lächelnd. »Inzwischen werde ich Euch dasselbe Versprechen geben.« Er hob ihre Hand an seine Lippen. »Ich werde Euch auch kein Leid zufügen. Was auch immer Ihr entscheidet, was auch immer Ihr diesen Männern sagt, die kommen, ich werde nicht mit Euch streiten.« Er nahm ihre Hände in seine und betrachtete sie erneut von oben bis unten.
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