Gefangene der Flammen
Spur darauf.
Rileys Mutter, Großmutter und all die anderen Frauen ihrer Familie, die vor ihr diese besonderen Gaben besessen hatten, hatten sie ihr zu einem einzigen Zweck hinterlassen: Dies war ihr Moment, ihre Gelegenheit. Sie war es, die den Jägern den Weg zur Beute weisen musste.
Zu Anfang, während sie eine Schublade nach der anderen öffnete und jedes Krankenblatt berührte, spürte sie nichts – und eigentlich hätte es doch anders sein müssen, oder? Sie holte tief Luft und ließ sie langsam wieder entweichen, um sich zu beruhigen und Kraft zu schöpfen. Dann suchte sie weiter, aber nicht nur mit den Gaben, die Mutter Erde ihr verliehen hatte, sondern auch mit den geschärften Sinnen, die sie durch den mehrfachen Blutaustausch mit Dax gewonnen hatte. Trotzdem spürte sie noch immer nichts.
Riley hielt wieder inne, um den Blick über die Stapel von Akten gleiten zu lassen, über die endlosen Regale und die Schränke neben der Tür zum Sprechzimmer der Ärztin. Dies musste der richtige Raum sein. Sie wusste, dass sie recht hatte. Aber was suchte sie eigentlich? Nicht die Angestellte, sondern den Schatten, der die Frau steuerte. Er würde innerhalb dieser menschlichen Marionette sein. Arabejila hatte Riley ein weiteres kostbares Geschenk hinterlassen: ihre Blutlinie. Deshalb rief Rileys Blut Mitros. Falls also ein Teilchen oder auch nur ein winziger Schatten von ihm in seiner Komplizin steckte, würde ihr Blut es merken.
Der Gedanke an irgendeine Verbindung zu dem Monster war jedoch so abscheulich, dass sich Riley der Magen verkrampfte und sie sich sekundenlang nicht bewegen konnte. Doch dann straffte sie die Schultern, streckte die Hand aus und berührte das Flipchart auf dem Stapel noch nicht eingeräumter Akten. Ihre Adern pochten; ihr Blut begann, schneller zu zirkulieren. Da war er, der winzige Faden, und nun, da sie ihn hatte, konnte sie ihn auch verfolgen. Er war so dünn und schwach, dass er fast nicht wahrzunehmen war, doch ihr Blut kannte ihn; er konnte sich nicht vor ihr verstecken.
Euphorie erfasste sie. »Ich hab ihn, Dax! Jetzt kann ich ihn finden. Oder zumindest denjenigen, der dich zu ihm führen kann.«
Dax und Riordan kamen sofort zu ihr herüber. Dax schloss sie in die Arme und drückte sie an sich. »Ich wusste, dass du ihn finden würdest«, sagte er und küsste sie auf die Stirn.
»Die Spur hat etwas Feminines«, stellte Riley richtig. »Ich habe zwar keine Ahnung, wer es ist, doch ich denke, ich kann die Spur verfolgen.«
Selbst mit Dax so dicht in ihrer Nähe spürte sie das Pochen in ihren Adern, ein Trommeln, das sie auf die regelmäßige Anwesenheit der Frau in diesen Räumen hinwies. Riley drehte sich um und trat an der Tür des Sprechzimmers vorbei zur Hintertür. »Sie geht hier hinaus, wenn sie Feierabend hat.«
»Dann lasst uns sie suchen!«, sagte Riordan. »Ich möchte wissen, wo sie wohnt.«
»Wenn Riley diese Angestellte als Mitros Marionette erkannt hat, bedeutet das, dass der Vampir jede ihrer Handlungen bestimmt und sie dadurch genauso gefährlich sein wird wie jeder andere seiner Ghule«, sagte Dax. Riley musste klar sein, dass sie es nicht mehr mit einem Menschen zu tun hatten. Wer immer diese Person gewesen war, hatte längst aufgehört zu existieren und war zu Mitros Kreatur geworden.
»Denk immer daran«, fügte Riordan hinzu, »dass diese Frau für den Tod von mindestens sechs Babys und den ihrer Mütter verantwortlich ist!«
Riley befeuchtete ihre Lippen. Sie wusste, was die Männer taten: Sie bereiteten sie darauf vor, dass sie die Frau töten würden, falls sie sie finden sollten. Und sie wollten nicht, dass sie, Riley, sich schuldig fühlte. Sie brauchte die Warnung nicht, weil sie selbst gesehen hatte, was Mitro aus den Dorfbewohnern gemacht hatte, doch sie war den Karpatianern trotzdem dafür dankbar. Sie wusste, dass beide Männer auf sie achtgaben, und das war sehr beruhigend für sie.
Dax und Riordan fielen zurück, um sie vorangehen zu lassen. Von innerhalb des Hauses suchte Dax den Außenbereich der Klinik ab, und als er ihn für sicher erachtete, schwenkte er die Hand, um die Hintertür zu öffnen. Riley fand die Stelle, an der die Frau ihren kleinen Roller parkte. Es war noch so früh, dass kaum Menschen auf der Straße waren. Dax’ hielt Riley an der Schulter zurück und ließ den Blick über die nähere Umgebung gleiten.
»Spürst du etwas?«, fragte er Riordan.
Der andere Karpatianer schüttelte den Kopf. »Keine Gefahr. Ich glaube,
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