Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
seltsamer Kummer. Irgendetwas wartete hinter diesen Schlossmauern auf sie.
Und Erin mochte ihren Gastgeber nicht, was Aeriel verstörte, denn sie konnte keinen Makel an ihm entdecken.
Aber sie genoss auch die ständigen Tafelfreuden nicht wirklich, obwohl die Speisen köstlich gewürzt waren. Ihre Gedanken schweiften immer ab, wenn sie zusammen aßen, und kurze Zeit später war sie wieder hungrig. Dann pflückte sie Früchte im Garten, falls sie allein war, und fühlte sich schuldig, etwas gegessen zu haben, das er ihr nicht angeboten hatte.
Den ganzen Tagmonat und auch während der nun anbrechenden Nacht hörte sie Jagdhörner und Hundegebell aus den Wäldern. Manchmal sah sie die jungen Männer des Fürsten auf ihren schwarzen Pferden ausreiten.
»Was jagen sie«, fragte sie den Fürsten, »dass sie Tag und Nacht ausreiten?«
Der Fürst zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes. Sie sind Jäger. Sie müssen jagen.«
Aber ein anderes Mal sagte er zu ihr: »Letzten Tagmonat gab es nur einen Grauen Stier in meinen Wäldern. Jetzt erzählen mir meine Reiter, dass es drei gibt: Zwar sind sie von unterschiedlicher Gestalt, aber alle sind grau und tragen kupferne Halsbänder.«
Irgendeine Erinnerung tauchte vage in Aeriel auf, verschwand aber schnell wieder. Sie hörte, wie der Fürst zu sich sagte: »Ich frage mich, was das für Kreaturen sind.«
Aeriel merkte, dass sie entgegnete: »Gargoyles«, ohne zu wissen, warum sie es sagte. Das Wort bedeutete ihr nichts. Der Fürst lachte nur.
Einmal lud er sie zu einem Ausritt in die Umgebung ein, aber
Aeriel lehnte ab. Erst später, als sie allein war, wurde ihr bewusst, dass sie nur abgelehnt hatte, weil sie bei dem Ausritt auf ihren Wanderstab hätte verzichten müssen.
Sie stellte fest, dass sie sich seit ihrer Ankunft im Schloss an ihren Stab wie an eine Waffe geklammert hatte. Nicht eine Sekunde hatte sie ihn losgelassen.
Einmal hatte er ihr vorgeschlagen, mit einem Nachen auf eine Insel inmitten eines der größeren Fischteiche zu fahren, aber sie lehnte ebenfalls mit der Begründung ab, sie könne nicht schwimmen. Auch bei diesem Ausflug hätte sie auf ihren Wanderstab verzichten müssen, und das war der eigentliche Grund.
Wie durch einen Nebel erkannte sie, dass er ihr immer etwas vorschlug, bei dem sie ihren Stab beiseitelegen müsste. Das machte er aber nur, wenn Erin nicht dabei war, was jetzt sehr oft vorkam. Wenn sie allein waren, gab er sich sehr vertraut. Zuerst war das dunkelhäutige Mädchen ständig in Aeriels Nähe geblieben, doch jetzt ging sie immer öfter eigene Wege. Aeriel merkte nie, wann sie ging, ihr Schritt war sehr leise. Sie wurde sich immer erst hinterher ihrer Abwesenheit bewusst, wenn sie in ihr Zimmer zurückkehrte und Erin dort still saß. Erin sagte ihr niemals, wo sie gewesen war.
Es waren nur noch zwölf Stunden bis zum Abend, merkte Aeriel überrascht. Sie saß mit dem Fürsten in einem seiner großen Gemächer. Sie hatten gerade ein Mahl beendet, bei dem die Speisen besonders kräftig gewürzt waren. Aeriel hatte einen halben Krug Wasser getrunken, um das Brennen in ihrer Kehle zu kühlen. Sie fühlte sich benommen und noch immer seltsam hungrig.
Ein Diener hatte seinem Herrn eine Laute gebracht. Sie war aus Ebenholz, mit silbernen Saiten und mit Intarsien aus Elfenbein verziert. Der Fürst spielte darauf.
»Warum siehst du mich nie an?«, fragte er sie plötzlich. »Wann immer wir zusammensitzen, wendest du den Kopf ab.«
Sein Ton war gerade noch höflich. »In Terrain, wo ich herstamme«, sagte Aeriel, »ist es nicht Sitte, jemanden anzustarren.«
»Starre ich dich an?«, fragte der Fürst.
»Ja«, entgegnete sie und nahm ihren Becher.
»Du besitzt eine Laute«, sagte er. »Warum habe ich dich nie spielen gehört?«
»Ich spiele nur für meinen Unterhalt.« Das klare kalte Wasser löschte ihren Durst nicht. »Bin ich nicht dein Gast?«
Der Fürst lachte. »Dann will ich für dich spielen«, antwortete er und berührte die Saiten. Aeriel erschauderte. Eine Saite war zu hoch gestimmt. Der Fürst unterbrach sein Spiel und stimmte sie. Aeriel kannte bereits die Worte des Liedes.
»Die Welt ist müde ihres Laufs in steter Runde;
Und Nebel liegen schwer und dunstig über’m Meer.
Käm doch nur endlich die ersehnte Stunde,
In der du tröstest mein armes Herz so schwer …«
Der Becher war Aeriels Hand entglitten. Sie war aufgesprungen, ohne es zu merken. Der Fürst hielt inne.
»Was ist mit dir?«, fragte
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