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Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)

Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)

Titel: Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. A. Pierce
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bleiben. Sie trug Lumpen, die einst feine Kleidung gewesen waren. Ihre Haut war grau wie totes Holz, farblos. Ein Arm bedeckte die Augen, verbarg sie vor dem Licht.
    Die andere Hand war suchend ausgestreckt, tastete umher, schien Aeriels Schatten zu fühlen. Wann immer die Finger das
Licht berührten, zuckten sie zurück. Die schwarzen Flügel auf ihrem Rücken bewegten sich. Sie trat noch einen Schritt vor.
    Roschka warf sich flach auf den Boden und zog Erin an seine Seite. Aeriel sah, wie ihre Schatten schrumpften. »Aeriel«, rief Roschka, »komm zurück; lass dich fallen, er folgt deinem Schatten. «
    »Das weiß ich, Roschka.« Ihr gelassener Ton erstaunte sie selbst.
    »Es ist der Engel der Nacht«, schrie Erin. »Wir müssen fliehen! «
    »Wohin denn?«, fragte Aeriel. Sie drehte sich nicht um; sie konnte ihre Augen nicht von dem Wesen lösen, das auf sie zuging. »Ein Viertel der Nacht liegt noch vor uns. In drei Dutzend Stunden erst geht der Sonnenstern auf. Wir stehen im hellsten Licht, das es gibt, und trotzdem kommt er auf uns zu.«
    Ihr war kalt, und sie schien wie erstarrt, zu erschöpft, weiter zu fliehen. Ihre Glieder fühlten sich an, als würden sie zu Staub zerfallen.
    »Er hat meinen Schatten gefunden, und jeder Fluchtversuch ist sinnlos.«
    »Nein«, flüsterte Roschka. »Geh weg von hier.«
    »Ihr beiden müsst fliehen«, sagte Aeriel. »Er ist nicht hinter euch her.«
    Sie sah Erins Schatten auf der Erde plötzlich länger werden, hörte, wie das dunkelhäutige Mädchen aufstand.
    »Ich lasse es nicht zu, dass er dich kriegt«, keuchte Erin. »Er soll mich an deiner Stelle haben.«
    Erins Schatten schoss vor, sie hob etwas vom Boden auf.
Aeriel hörte einen Stein vorbeizischen, sah, wie er den Arm des Engels der Nacht aufschlitzte. Das Wesen zuckte nicht zusammen, zeigte keine Reaktion. Nicht ein Blutstropfen sickerte aus dem grauweißen Fleisch.
    »Erin, nein!« Aeriel hörte Roschka aufschreien.
    Noch immer konnte sie ihre Augen nicht von dem grauen Wesen vor ihr lösen. Der Schatten von Roschkas Hand umklammerte Erins Handgelenk. Ihre Schatten kämpften miteinander. Das dunkelhäutige Mädchen schien vorwärtsstürmen zu wollen.
    Der Engel der Nacht kam näher. Er kam ihr merkwürdig vertraut vor: Er ähnelte so sehr dem Engel der Nacht, den sie gekannt hatte, der sie aus den Hügeln von Terrain entführt hatte. Jener Ikarus war schön gewesen, seltsam lebenssprühend, von unirdischer Makellosigkeit. Erin schrie nun hysterisch, Roschkas Stimme übertönte ihr Geschrei.
    »Sieh ihm nicht in die Augen, Aeriel! Man sagt, seine Blicke töten …«
    Der Engel schirmte noch immer mit einem Arm seine Augen ab. Aeriel sah, wie er das Gesicht zu einer gequälten Grimasse verzog, so als schmerzte ihn das wenige Licht, das ihn in ihrem Schatten traf. Der andere Arm suchte tastend nach ihr, seine schwarzen Flügel waren entfaltet.
    Sie erinnerte sich lebhaft an jenen anderen Engel der Nacht, der über ihr in den Hügeln von Terrain seine Flügel ausgebreitet und ihr dabei sein Gesicht enthüllt hatte, das so wunderschön war, dass es ihr den Verstand geraubt hatte und sie ihm nur noch willenlos vor die Füße gesunken war, ihn angefleht hatte, ihm zu Diensten sein zu dürfen.

    Der Vampir von Pirs stand nun innerhalb ihrer Reichweite, noch immer in ihrem Schatten. Aeriel umklammerte ihren Wanderstab; ihr Herz pochte, und sie fragte sich, ob der Blick des Engels sie töten würde, ehe ihr Schlag ihn treffen konnte.
    Das Wesen ließ den Arm sinken. Für einen Moment blieben seine Lider geschlossen, und Aeriel sah erschrocken, dass sein Gesicht grau war, eher einem Totenkopf als einem lebenden Schädel glich, ohne Muskeln unter der transparenten Haut.
    Langsam öffnete der Ikarus die Augen; sie waren farblos, merkwürdig flach, wie die eines Fisches. Sie sahen aus wie Glasknöpfe. Nur die Pupillen waren dunkel, tief, schienen in ewige Finsternis hinabzuführen. Für eine Sekunde hatte sie das Gefühl, sich darin verlieren zu können, in ihre Leere hinabzugleiten, bis auch sie zu einem Nichts wurde.
    Aber der Augenblick ging vorüber. Danach war Aeriel seltsam unbewegt und gelassen. Keine unerklärliche Macht schlug sie in den Bann, keine Woge der Schwäche spürte sie in ihren Gliedern. Nicht einmal Angst empfand sie, nur Ablehnung. Denn im Gegensatz zu dem jungen, unfertigen Ikarus, den sie in Avaric gerettet hatte, war dieser hier wirklich ein Engel der Nacht, eine leere Hülle, die jetzt vor ihr stand.

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