Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Halle, die sie soeben betreten hatten, und verschwand zur Rechten, dorthin, wo Aeriel den Widerhall des rauschenden Wassers hörte, der sich tausendfach in den Wölbungen der Höhlen brach.
»Wohin führt der Fluss?«, fragte Aeriel.
»Viele, viele Meilen weit«, erwiderte der Zwerg. »Himmel
auch, ich habe nie die Zeit gehabt, ihm zu folgen … bis in die Ewigkeit, soviel ich weiß.« Er hüpfte von der letzten Stufe der Treppe, die vom Garten hinab ins Höhlenreich führte. »Nun komm!«, sagte er. »Wir müssen jetzt durch Wasser waten.«
Er schritt an das sandige Ufer des Flusses, und Aeriel folgte ihm. Der Sand war weich und weiß wie Sägemehl und dennoch körnig. Das Wasser war warm, die Strömung schnell, doch ohne trügerische Tiefen. Aeriel bemerkte, dass das glitzernde Licht auf der Oberfläche des Flusses nicht nur vom Widerschein der Fackel kam, sondern eine Eigenschaft des Flusses selbst war. Aeriel blieb in seiner Mitte stehen und schöpfte etwas Wasser mit der hohlen Hand. Sie kostete. Es schmeckte leicht salzig und hatte einen aromatischen, nach Kräutern riechenden Duft. Es beruhigte ihren Magen und stärkte ihr Wohlbefinden. Sie trank wieder und folgte dann dem Zwerg ans gegenüberliegende Ufer. Eine Zeit lang führte er sie nun direkt an der Höhlenwand entlang. Sie bestand aus glattem weißen Kalkstein und war nur etwa zwei Schritte vom Flussufer entfernt. Schließlich erreichten sie eine Stelle, wo die Höhlenwand eine im Schatten verborgene Nische bildete. In dieser Felsnische war eine Tür aus Elfenbein eingelassen, sie wurde erst im Licht der Fackel sichtbar. Der Zwerg stieß sie auf. Sie öffnete sich lautlos.
Dahinter führte ein enger kurzer Gang in ein großes Gemach aus weißem Kalkstein, in dessen Mitte nur ein kleiner Haufen Holzscheite lag. Das Holz brannte lustig mit heller Flamme. Es war trockenes graues Treibholz. Der Zwerg betrat als Erster das Gemach, und da die Fackel nahezu abgebrannt war, warf er sie in die knisternde Glut.
»Komm, Aeriel!«, forderte er sie auf. »Setz dich ans Feuer und ruh dich aus. Ich hole uns unterdessen etwas zu essen, denn ich habe ebenso lange nichts gegessen wie du, wahrscheinlich noch länger.«
Dann humpelte er quer durch das Zimmer, seine Beine waren sehr kurz, und verschwand durch eine Tür in der Wand, die Aeriel bisher noch nicht bemerkt hatte. Sie war, wie die erste, sorgfältig in den Schatten der Unebenheiten der Wand verborgen. Sie setzte sich ans Feuer und beobachtete, wie der beißende Rauch in dünnen weißen Fäden zur Decke stieg, sich sammelte und die Kerben und Spalten der Decke füllte. Aeriel hatte noch nie zuvor ein Holzfeuer gesehen. Die Leute im Dorf verbrannten nur Öl in Lampen oder saßen beim Licht der Kerzen.
Schließlich hörte sie den Zwerg zurückkehren, er murmelte vor sich hin. Seine Arme waren mit Früchten und Beeren beladen. Er kniete sich neben das Feuer und breitete seine Gaben aus. Aeriel starrte erstaunt auf die Fülle und Vielfalt.
»Nun iss«, forderte Talb sie auf, »und am besten isst du schnell, sonst verleibe ich mir das Ganze alleine ein.«
Und dann machten sie sich gemeinsam über die Köstlichkeiten her. Da gab es Quitten und Limonen, hellgelbe Zitronen und Perlnüsse, Fächerwurz und goldgelben Kürbis, auch bitter schmeckendes Zuckerrohr und Süßwurzkraut, milchig saftige Pilze, süßer noch als Nussöl und weicher noch als Rahm. Selbst Fische gab es. Aeriel staunte.
»Du isst sie?«, fragte sie den Zwerg. »Die Fische?«
»Gewiss, mein Kind«, erwiderte Talb und bot ihr einen an. »Dafür sind sie doch da.«
Aeriel kostete ein wenig von dem feuchten weißen Fleisch. Es war warm und zart auf der Zunge. »Aber sie sind doch tot«, sagte sie. »Warum sind ihre Körper nicht zu Asche zerfallen?«
»Hm?« murmelte der Zwerg, der gerade auf Mandeln herumkaute. »Oh, das kommt vom Kochen.«
Aeriel stopfte alles in sich hinein, bis fast nichts mehr übrig war. Der Zwerg langte ebenfalls kräftig zu, denn auch er hatte mindestens seit Sonnenaufgang keine Nahrung mehr zu sich genommen. Und trotz seiner Versteinerung hatte er einen erstaunlichen Appetit entwickelt. Aber das machte nichts, denn für beide war genug da.
»Woher stammt das alles?«, fragte Aeriel, nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten.
Ihr Gastgeber räumte inzwischen die Reste ihres Festmahls beiseite. »Das Essen? Aus den Höhlen, aus dem Fluss«, sagte er und blickte auf.
»Hier unten gibt es Leben.«
»Das Wasser ist
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