Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Augenhöhlen an. Ihre eingefallenen Wangen wirkten durchsichtig im Lampenlicht, und die Haut ihrer Gesichter spannte sich so fest, dass Aeriel durch die Lippen den Abdruck ihrer Zähne sehen konnte. Ihre Arme glichen Vogelbeinen, sie bestanden nur aus Haut und Knochen. Sie duckten sich, sie zitterten. Eine jammerte mit hohler Stimme. Ihre Haare wirkten struppig wie ausgedörrtes Schilfgras. Dies sind Gespenster und keine Frauen mehr, dachte Aeriel plötzlich, das sind seelenlose lebende Tote.
»Du musst für sie spinnen und weben«, sagte der Vampir, »… nichts Schweres, verstehst du? Sie sind sehr gebrechlich. Wolle und selbst Seide haben zu viel Gewicht für sie. Es drückt sie herunter, so dass sie nur wie bettelnde Krüppel über den Boden kriechen können. Ich besuche sie nur sehr selten, aber dann erwarte ich, dass sie einigermaßen präsentabel aussehen. «
»Weder Wolle noch Seide«, wiederholte Aeriel, den Blick auf die gespenstischen Gestalten geheftet. »Was soll ich dann weben? «
»Das musst du selbst herausfinden, vielleicht etwas, das im Garten wächst.« Er wandte sich halb ab, so als wollte er gehen. »Welche von ihnen ist Eoduin?«, fragte Aeriel mit fast ersterbender Stimme, da ihr klarwurde, dass eine dieser Kreaturen einst ihre Freundin gewesen war.
Der Engel der Nacht zuckte die Schultern. »Du wirst doch von mir nicht erwarten, dass ich mich erinnere, welche von denen da welche ist?« Damit ließ er sie einfach in der Mitte des Raumes stehen.
Aeriel lief ihm ein paar Schritte nach. »Wohin gehst du, mein Gebieter?«
Er drehte sich um und erwiderte ungeduldig: »Was kümmert’s dich? Du bist nur ein Dienstbote, und ich habe nun genug Zeit mit dir verschwendet.«
»Aber … was soll ich tun, wenn ich dich brauche?«, stammelte sie.
»Weshalb solltest du mich brauchen?«, wollte er wissen. »Deine Pflichten gehen mich nichts an.«
»Aber …«, sagte Aeriel unsicher. »Ich werde ganz alleine sein.«
»Alleine?«, rief der Ikarus. »Du hast zwölf und eine Gebieterinnen. « Mit diesen Worten wandte er sich ab und schritt eilig die Halle hinab. Aeriel blieb allein zurück, in einem fensterlosen Raum, zusammen mit den lebenden Toten.
3
Talb, der Zwerg
W ir tun dir nichts«, sagte eine der Geisterfrauen.
»Wir könnten es gar nicht«, sagte eine andere. »Die meisten von uns sind selbst zum Stehen zu schwach.«
»Das liegt am Gewicht dieser Kleider«, sprach eine dritte, oder vielleicht war es auch wieder die erste. Sie bewegten sich alle ständig hin und her, schlurften und schwankten mal vor, mal hinter Aeriel vorbei. Sie konnte nicht jede im Auge behalten, zumal sie alle dasselbe Gesicht hatten, wenn auch die eine oder andere weniger hinfällig wirkte.
»An unserer Kleidung und unseren Knochen«, meinte die vierte.
»Die Zeit und die Dauer.«
»Und Tränen und Trauer.«
»Die vor dir webte uns Kleider aus luftiger Pflanzenseide«, sagte eine der Geisterfrauen, »wir aber wurden so dünn und schwach, dass selbst diese uns beschwerlich wurden.«
Sie kamen näher, und Aeriel wich zurück, bis sie mit dem Rücken zur Mauer stand. Ein modriger Geruch, der sie an Friedhof und Totengrüfte erinnerte, ging von ihnen aus. Sie musterte die gespenstische Gesellschaft.
»Du musst uns Gewänder aus feinerem Stoff weben.«
»Aus Mäusehaar.«
»Und Vogelsang.«
»So leicht wie Atemhauch.«
Sie starrten Aeriel aus leeren Augenhöhlen an, manche nickten. Aeriel zuckte zurück.
»Welche von euch ist Eoduin?«, flüsterte sie, denn anders hätte sie keinen Ton herausgebracht.
»Oh, wir haben hier alle unsere Namen verloren«, erwiderten sie im Chor.
»Welche von euch kam als Erste hierher?«
Die Gespensterfrauen sahen sich fragend an. »Wir wissen es nicht«, sagte dann eine. »Unsere Erinnerungen kommen und vergehen. Keine kann sich länger als einen Tagmonat zurückerinnern; und viele waren wir damals schon damals, vor einem Tagmonat.«
Aeriel unterdrückte ein Schaudern. »Warum hält der Vampir euch hier gefangen?«
»Wir sind hier, weil wir’s so wollen«, sagten die Geisterfrauen. »Würden wir in dem weitläufigen Schloss umherirren, wären wir sicher ganz und gar verloren, wenn es überhaupt noch etwas zu verlieren gibt.«
Aeriel verzog das Gesicht.
»Warum hast du vor uns Angst?«, fragte eine.
»Was hat er euch getan?«, stieß Aeriel leise hervor. Sie konnte ihren Abscheu nicht länger verbergen. »Ihr wart einmal Frauen, jede von euch.«
»Das stimmt«, sagte
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