Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
jetzt kam ihm Aeriel in den Sinn. Sabr unterbrach ihre Begrüßung mit dem Sternenpferd und drehte sich um, wobei sich ein plötzlicher Ausdruck von Besorgnis auf ihre sonderbar vertrauten Gesichtszüge legte. Aeriel verspürte ebenfalls eine eigentümliche Scheu, obwohl sie keinen Grund dafür kannte.
»Cousine«, begann Irrylath, und auch er schien eine gewisse Beklemmung nicht abschütteln zu können, »das ist Aeriel.« Es folgte eine Pause. Dann leiser: »Meine Gattin.«
Sabr legte eine Hand auf ihre Schulter. Mit gesenktem Kopf kniete sich die Königin von Avaric vor dem blassen Mädchen in dem Hochzeitssari nieder.
»Gefürchtete Zauberin«, murmelte sie, »befrei uns von der Hexe.«
Aeriel vernahm kaum die Worte, derart verwirrt und verlassen fühlte sie sich. Denn Irrylath stand nicht an ihrer Seite, sondern ihr gegenüber, neben Sabr.
»In solch verschwindend kurzer Zeit hast du meinen Cousin und den Avarclon zu uns zurückgebracht«, fuhr die Banditenkönigin fort, hob nun den Blick, »wofür dir jeder in Verbannung
lebende Bewohner Avarics zu großem Dank verpflichtet ist. Sei versichert, mein Volk wird dir in diesem Krieg getreulich dienen.«
Aeriel zitterte, ließen doch die stolzen blauen Augen und das glatte, reine Gesicht der anderen ein Gefühl des Unbehagens in ihr aufsteigen. Aeriel schüttelte sich. Alle Anwesenden starrten sie an.
»Ich danke dir für deine Gefolgstreue, Königin von Avaric …«, brachte sie schließlich stammelnd hervor. Sie fühlte sich unwohl und überrumpelt. Sie konnte die Frau in aller Öffentlichkeit wohl kaum als Königin der Banditen betiteln: »… und vertraue darauf, dass deine Reiter und Reiterinnen uns tapfer im Kampf gegen die Hexe beistehen. Aber ehre mich nicht mit solch großen Titeln. Ich bin einfach nur Aeriel.«
Sabr kniete noch immer, kühl und ernst und mit leicht überraschtem Gesicht: Sie maß sie, das erkannte Aeriel, wie eine Ebenbürtige – oder eine Rivalin. Irrylath schwieg. Da spürte Aeriel, wie sie den Atem anhielt. Niemand in ihrer Gefolgschaft rührte sich. Verunsichert machte sie auf dem Absatz kehrt und ließ alle zurück: Prinz, Königin der Banditen und die anderen – und versuchte, den Ausdruck tiefster Erleichterung im Antlitz ihres Gemahls zu vergessen, als sie verschwand.
Ein Tagmonat verstrich, in dem weitergewandert, neue Mitstreiter gewonnen und Proviant gesammelt wurde. Wie langsam eine Armee zog! Obwohl Nahrung nur spärlich zu finden war, mangelte es vornehmlich an Wasser, denn die tödliche Dürre der Weißen Hexe hatte das Land fest im Griff. Menschen strömten von nah und fern herbei, viele allein aus dem Grund,
einen Blick auf die Armee zu erhaschen, aber mehr noch, um sich ihr anzuschließen. In den meisten Ländern von Westernesse, in Bern und dem nahe gelegenen Zambul, im nördlichen Pirs, im weit entfernten Rani und Elver, selbst in Terrain, stießen zahllose Verbündete zu ihnen, so dass ihre Zahl zu einer mächtigen Streitkraft angeschwollen war, sobald sie Pendar erreichten. Dort erwarteten sie ein Dutzend Wüstenstämme, unter ihnen die Ma’a-mbai. Mit einem frohlockenden Jauchzen fiel ihnen Aeriel um den Hals.
»Nun denn, meine kleine Weißhäutige, du bist so berühmt geworden, man nennt dich gar eine Zauberin«, lachte ihre Anführerin.
»Stammesfürstin, das ist Unsinn«, sagte Aeriel und wischte sich Tränen aus den Augen. Von all den Menschen sollte gerade ihre alte Freundin, die Wüstenwanderin, wissen, dass sie keine Zauberin war. Doch sie musste ebenfalls lachen und umarmte die zimtfarbene Frau. »Oh, Orroto-to, es tut so gut, dich wiederzusehen. «
Die Armee wuchs stetig. Als Irrylaths Mutter, Königin Syllva, Sabr auswählte, um die Verbündeten des Westens zu befehligen, machte sich die junge Königin ihre ungleichen neuen Truppen mit fester, sicherer Hand gefügig. Sabr und ihr Cousin, der Prinz, führten jeweils einen Flügel der mächtigen Armee an, sie waren ein vollkommenes Spiegelbild des anderen: beide stolz, hochmütig, unnahbar. Aeriel kam nicht umhin, die ungezwungene, beinahe arrogante Autorität der Banditenkönigin zu bewundern, wenn nicht gar zu beneiden.
Sie schlugen ihr Lager am Rande der Sandwüste auf, um
schon bald das bleiche bernsteinfarbene Brachland zur fernen Einöde und dem Toten See der Hexe zu durchqueren. Wachsende Besorgnis, gemischt mit Angst, stieg in Aeriel auf. Gemeinsam mit Erin saß sie im kühlen Windschatten einer Düne. Der Nachtschatten hatte sich
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