Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
seltenen schwarzen Holz gefertigt und mit vielen Schnitzereien verziert.
Am Bettende stand eine Truhe, in der gewöhnlich Bettzeug oder Linnen verwahrt wurde, doch als Aeriel sie näher betrachtete, sah sie, dass es eine Spielzeugkiste sein musste, denn auf dem Deckel lagen zwei Spielsachen, die nur einem Prinzen gehören konnten: ein geschnitzter Drachen aus Elfenbein mit Klauen aus schwarzem Onyx und eine Stoffpuppe, in kostbares Satin und Seide gekleidet und mit Perlen bestickt.
Als sie den Kelch neben den Spielsachen auf die Truhe stellte, wurde ihr klar, dass dieser Raum vor Ankunft des Vampirs das Kinderzimmer gewesen sein musste. Es verwunderte sie, dass nichts im Raum verändert worden war und man nichts zu der
neuen Residenz der Königin, nach Esternesse, mitgenommen hatte.
Plötzlich wich das Dämmerlicht völliger Dunkelheit. Aeriel schreckte hoch und merkte, dass nur der Sonnenstern jetzt endgültig untergegangen war. Sie ging, um die niedrig brennenden Öllampen, die überall in Mauernischen standen, höher zu stellen. Die Gespensterfrauen wanderten unruhig in dem Zimmer auf und ab und wandten ihre blinden Augen vom Licht. Als Aeriel die letzte Lampe höher stellte, blieb eine der elenden Gestalten neben ihr stehen.
»Er kommt!«, zischelte die Geisterfrau.
Alle erstarrten in ihren Bewegungen. Aeriel ließ die Hand von der Lampe sinken und eilte in die Mitte des Raums. Da stand sie, die Arme über der Brust verschränkt und lauschte. Die Stille des verödeten riesigen Schlosses drängte schmerzhaft an ihr Ohr. Dann hörte sie über dem leisen Zischen der brennenden Dochte ein Geräusch: unregelmäßige Schritte, die die äußere große Halle durchquerten, und das Rascheln von Schwingen.
»Schnell.« Aeriels Stimme war nur noch ein gepresstes Flüstern, damit er sie nicht hören konnte. »Versteckt euch!«
Die ausgemergelten Gestalten verschmolzen mit den Schatten und dämmrigen Ecken des Raums, sie erstarrten, wurden unsichtbar. Aeriel hob den Pferdehuf und hielt ihn zwischen beiden Händen.
Die Schritte in der Halle kamen näher. Sie hörte, wie der Engel der Nacht die lange gerade Treppe emporstieg und die Vorräume durchquerte. Aeriel versuchte, ihre zitternden Hände
ruhig zu halten. Sie stand mit dem Gesicht zur Tür. Das weiße, weiche Licht der Öllampen warf bleiche Schatten auf die Wände. Die Schritte des Vampirs kamen näher. Aeriel schloss die Augen und hielt den Atem an.
Die Schritte hielten inne. Aeriel öffnete die Augen. Der Ikarus stand vor ihr in der Tür. Seine tiefschwarzen Schwingen fielen gleich einem Mantel von seinen Schultern. Seine farblosen Augen musterten sie einmal, von Kopf bis Fuß.
»Gut, Weib«, sagte er. Seine Wunden im Gesicht und an der Schulter klafften dabei auf. »Du bist sehr schön, fast meiner würdig.« Aeriel holte tief Luft, als sie ihn sah. Der Vampir lächelte. »Du zitterst, ist dir kalt? Schon bald wird dich die Kälte nicht mehr stören.«
Er trat von der Tür auf sie zu. Aeriel umfasste krampfhaft den silbernen Huf.
»Was ist das?«, fragte er.
Aeriel betrachtete das Gefäß in ihrer Hand. Als sie sprach, versuchte sie, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. »Bei meinem Volk herrscht der Brauch, dass das Brautpaar gemeinsam einen Hochzeitsbecher leert.«
Er lachte. »Ein wunderlicher Brauch. Ich habe nie davon gehört. « Er lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und musterte die Schale in ihrer Hand. »Aber wir sind hier nicht bei deinem Volk.«
Aeriel sah ihn an und fühlte, wie sich ihr Puls beschleunigte. »Aber«, stammelte sie, »du musst davon trinken.«
»Und warum?«, fragte der Vampir.
Furcht stieg in ihr auf und drohte ihr den Verstand zu benebeln.
Verzweifelt suchte sie nach einer überzeugenden Erklärung und spürte dabei, wie die Klinge des Dolchs auf ihrer Brust brannte. »Du würdest mir eine Freude machen«, fing sie an, »wenn du ihn mit mir trinkst …«
Der Ikarus stemmte die Hände in die Hüften. »Und warum sollte ich irgendetwas tun, um dir eine Freude zu machen?«, fuhr er sie mit schneidender Stimme und steigendem Ärger an. »Ich bin der Herr hier!«
Ein Gedanke kam ihr in den Sinn. Aeriel atmete aus. Ihr Puls wurde wieder normal. Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Sie zwang ihre Stimme zu kraftvoller Klarheit. »Wenn du nicht trinken willst, mein zukünftiger Gemahl, werden wir nicht richtig verheiratet sein. Dann wirst du nicht vierzehn, sondern nur zwölf-und-eine Braut dein Eigen nennen.« Der Vampir
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