Gefangene des Feuers
so fest, dass er unmöglich herausschlüpfen könnte.
Atwater fuhr fort, als hätte Rafe kein Wort gesagt. „Sie haben schon so viele Männer getötet, was sollte einem Bastard wie Ihnen da schon einer mehr ausmachen? Verzeihung, Ma’am! Etliche tote Männer pflastern Ihren Weg, McCay, angefangen mit dem armen Tilghman damals in New York. Angeblich obendrein noch Ihr Freund.“
„Er hat Tench nicht getötet!“, protestierte Annie. Sie fühlte sich wie gelähmt. Sie wollte etwas tun, wusste aber nicht was. Atwater hatte sich etwa fünf Meter vor Rafe niedergelassen, die gespannte Schrotflinte in den Händen, sodass er jederzeit schießen konnte. Er schien darüber nachzudenken, ob er Rafe gleich auf der Stelle töten sollte, um sich den Ärger zu ersparen, ihn ins Gefängnis transportieren zu müssen. Natürlich würde er die Kopfgeldprämie nicht bekommen, weil er Marshal war, aber der Gerechtigkeit wäre Genüge getan. „Man hat ihm den Mord nur angehängt. Es geht überhaupt nicht um Tench!“
„Egal“, sagte Atwater. „Er hat auch so genug Männer getötet. Vermutlich kann ich Trahern auch auf Ihre Liste setzen, McCay, obwohl ich diesen Bastard noch nie mochte. Verzeihung, Ma’am!“
„Rafe hat auch Trahern nicht getötet!“, rief Annie. Sie hatte jede Farbe verloren, selbst ihre Lippen waren weiß.
„Annie, halt den Mund!“, wies Rafe sie mit scharfer Stimme an, doch er hätte sich den Atem sparen können.
„Ich habe ihn getötet“, sagte sie leise.
Atwaters Brauen schossen nach oben. „Was Sie nicht sagen.“
Sie rang die Hände und plötzlich wünschte sie sich verzweifelt, Rafes Ersatzpistole noch in ihrer Rocktasche zu haben. „Er wollte Rafe in einen Hinterhalt locken“, erzählte sie wie benommen. „Ich hatte eine Pistole in meiner Tasche ... Ich habe noch nie in meinem Leben geschossen. Ich konnte den Hahn nicht spannen, als ich es versucht habe ... Aber dann ging es plötzlich doch und irgendwie habe ich abgedrückt. Ich weiß auch nicht wie, weil die Pistole immer noch in meiner Rocktasche steckte. Mein Rock hat Feuer gefangen. Ich habe ihn getötet“, sagte sie noch einmal.
„Das hat sie nicht“, warf Rafe mit schneidender Stimme ein. „Sie versucht nur, meine Schuld auf sich zu nehmen. Ich habe es getan.“
Atwater hatte allmählich genug von dieser Geschichte. Er mochte es gar nicht, wenn Gesetzlose plötzlich noble Züge zeigten. Das verwischte sein ganzes Bild, das er sich von ihnen gemacht hatte.
Sicher, er hatte schon Frauen kennengelernt, die die Schuld für das auf sich nahmen, was ihre Männer getan hatten. Denn in den meisten Fällen wurden die Ladies vom Gesetz anders behandelt als Männer. Die wenigsten Frauen mussten ins Gefängnis. Aber in diesem Fall glaubte er nicht, dass die Ärztin nur versuchte, McCays Tat als ihre auszugeben, denn eine Geschichte wie die mit dem Rock, der Feuer fing, konnte man sich einfach nicht ausdenken. Nein, vielmehr versuchte McCay in diesem Fall, die Schuld der Ärztin auf sich zu nehmen, weil er Angst um diese Frau hatte.
Und es ärgerte ihn, dass der Doc gestanden hatte, einen Mann getötet zu haben, denn von einem Gesetzeshüter wurde selbstverständlich jetzt erwartet, dass er irgendetwas deswegen unternahm. Er dachte eine Weile darüber nach, ehe er die Schultern zuckte. „Hört sich für mich wie ein Unfall an. Wie ich schon sagte, hab nie viel von diesem Bastard gehalten. Verzeihung, Ma’am!“
Erleichtert schloss Rafe die Augen; Atwater blickte missmutig drein.
Annie kam näher, ihr Blick war zugleich ernst und verzweifelt. Warnend legte Atwater seinen Kopf schräg und hob die Schrotflinte. Von der Seite kam von Jacali eine wüste Drohung, falls er der weißen Frau ein Leid antun würde.
„Bei dieser ganzen Sache geht es nicht um Tench“, sprach Annie weiter. „Tench war nur ein Vorwand.“ Jetzt hatte sie Atwaters ganze Aufmerksamkeit und ignorierte den finsteren Blick, den Rafe ihr zuwarf. Vermutlich glaubte er, es sei sinnlos, Atwater zu überzeugen, auch weil er wusste, dass dieses Wissen Atwaters Leben ebenfalls in Gefahr bringen würde. Dass Rafe sich um diesen Mann besorgt zeigte, hatte sie trotzdem verblüfft.
Sie erzählte von Anfang an. Und während sie redete, kam ihr das ganze Geschehen so unglaublich vor, dass sie beinahe der Mut verließ. Wie sollte jemand so eine Geschichte ernst nehmen können? Selbst die leichtgläubigsten Menschen würden die Dokumente sehen wollen, die Rafe in den Banksafe
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