Gefangene des Feuers
um die Kälte auszusperren. Annie erlaubte sich nur einen kurzen Moment der Ruhe, ehe sie sich an die Vorbereitungen für das Abendessen machte. Eingeschränkt durch ihre spärlichen Vorräte, wärmte sie Bohnen und Speck auf und briet dazu wieder ein paar Pfannkuchen. Dankbar sah sie, dass Rafe zum ersten Mal in ihrer Gegenwart mit Appetit aß, ein gutes Zeichen, dass sein körperlicher Zustand sich verbessert hatte. Danach legte sie ihre Hand auf seine Stirn und bemerkte lächelnd, dass sie leicht feucht war. „Das Fieber ist zurückgegangen“, sagte sie und legte die andere Hand gegen seine Wange, um sich zu vergewissern. „Sie schwitzen. Wie fühlen Sie sich?“
„Viel besser.“ Beinahe bedauerte er, dass er sich besser fühlte, denn das bedeutete auch, dass sie nun keinen Grund mehr hatte, ihn zu berühren. Jetzt, da er nicht mehr so krank war, hatte ihre Berührung auf seltsame Weise eine andere Qualität angenommen. Wo er vorher ein heißes, scharfes Prickeln verspürt hatte, hatte er jetzt das Gefühl einer warmen Liebkosung, die er am ganzen Körper spürte und die eine so intensive Freude in ihm aufsteigen ließ, dass er beinahe davor zurückgeschreckt wäre.
Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. „Ich sagte Ihnen doch, dass ich Sie wieder gesund mache.“
„Sie sind eine gute Ärztin“, bestätigte er, und ihre strahlende Miene nahm ihm fast den Atem.
„Ja, das bin ich“, stimmte sie ohne Einbildung oder falsche Bescheidenheit zu. Vielmehr akzeptierte sie nur eine simple Tatsache. „Genau das habe ich immer gewollt.“
Summend ging sie zur Tür und trat ins Freie. Leise fluchend stand Rafe auf und ging ihr hinterher, die Hand an seiner Pistole. Annie wäre beinahe mit ihm zusammengestoßen, als sie zurückkam, mit zwei Zweigen in der Hand. Ihre Augen weiteten sich, als sie die kalte Wut in seinem Blick bemerkte. „Ich habe nur eben ein paar Zweige zum Zähneputzen geholt“, erklärte sie und hielt sie ihm hin. „Tut mir leid. Ich habe vergessen, Bescheid zu sagen.“
„Vergessen Sie das nie wieder!“, zischte er und zog sie von der Schwelle weg, um die Tür zu schließen. Als Annie errötete und das Strahlen auf ihrem Gesicht verblasste, bereute er seinen scharfen Ton im gleichen Moment.
Sie nahm ein wenig Salz, um ihre Zähne damit zu putzen, und Rafe zog sich mit dem Zweig im Mund zurück. Ihre Pedanterie erinnerte ihn an Zeiten, als er derlei Gepflogenheiten als selbstverständlich angesehen hatte. Zeiten, in denen er sich täglich gewaschen und rasiert und stets saubere Kleidung getragen hatte. Für ihn war es selbstverständlich gewesen, dass Rasierschaum da war, Sodapulver für die Zähne und feine Seife zum Baden. Er hatte teures Rasierwasser benutzt und Walzer mit lächelnden jungen Ladies getanzt. Aber das war eine Ewigkeit her. Vor dem Krieg. Ein ganzes Leben schien dazwischenzuliegen. Mit dem jungen Mann von damals verspürte er keinerlei Ähnlichkeit mehr. Auch wenn ihm die Erinnerung daran geblieben war, schien es ihm eher die eines Bekannten als seine eigene.
Jetzt stand Annie auf und suchte etwas in ihrer Arzttasche. Schließlich holte sie zwei kleine Stücke heraus, die wie Rinde aussahen. Eine steckte sie sich in den Mund, die andere hielt sie ihm hin. „Hier bitte. Zimt.“
Er nahm die kleine Stange und schnüffelte daran. Es war tatsächlich Zimt, so wie sie gesagt hatte. Langsam kaute er auf der Stange und erfreute sich an dem Geschmack. Er konnte sich noch daran erinnern, dass die jungen Ladies damals vor einer Ewigkeit auch Zimt oder Pfefferminzpastillen gekaut hatten, um einen frischen Atem zu bekommen. Und er konnte sich an diese Frische erinnern, wenn er sie geküsst hatte.
Vielleicht waren die Bilder von früher daran schuld oder einfach, dass er es so sehr wollte. Jedenfalls sagte er: „Jetzt, da unser Atem so frisch ist, wäre es doch schade, wenn wir uns nicht küssen würden.“
Abrupt drehte Annie den Kopf zu ihm um und sah ihn mit großen Augen an, während Rafe seine Hand in ihren Nacken legte. Sie versteifte sich, als er ihren Kopf zu sich ziehen wollte.
„Nein!“, platzte sie entsetzt heraus.
„Nicht doch! Es ist doch nur ein Kuss, Schätzchen! Keine Angst.“
Sein tiefer, schleppender Tonfall lullte Annie ein; mit einem Mal fühlte sie sich ganz schwach. Sie versuchte, den Kopf zu schütteln, doch seine Hand in ihrem Nacken hielt sie von der Bewegung ab. Annie bog sich nach hinten, den Blick auf seinen Mund geheftet, der ihr näher und
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