Gefangene des Feuers
jede Menge nackte Männer gesehen, aber niemand dachte deswegen schlecht von ihnen. Vielmehr waren sie sehr angesehen.
„Wollen Sie denn nicht heiraten und Kinder haben? Ich denke, das wäre durchaus möglich, und Sie könnten trotzdem als Ärztin Weiterarbeiten.“
Schnell warf sie ihm ein Lächeln zu, ehe sie den Blick wieder auf das Feuer richtete. „Bis jetzt ist mir eigentlich noch nicht der Gedanke gekommen zu heiraten. Meine Zeit ist ganz ausgefüllt mit meinem Beruf und meinen Studien über all das, was ich wissen muss. Ich wollte nach England gehen und bei Dr. Lister studieren, aber das konnten wir uns nicht leisten. Also muss ich mir all den Stoff selbst aneignen.“
Rafe hatte schon von Dr. Lister gehört. Ein bekannter englischer Chirurg, der mit seinen bahnbrechenden Erkenntnissen über antiseptische Methoden die Medizin revolutioniert hatte. Denn auf diese Weise konnte die Zahl der Toten nach einer Infektion erheblich reduziert werden. Rafe hatte auf dem Schlachtfeld oft genug erlebt, dass man sich über die Wichtigkeit von Dr. Listers Methoden hinwegsetzte. Aber seine eigene Erfahrung mit infizierten Wunden hatte ihn von der Bedeutung dieser Methoden überzeugt.
„Und, wie geht es jetzt weiter? Sie haben gelernt, eine gute Ärztin zu sein. Machen Sie sich jetzt auf die Suche nach einem Ehemann?“
„Ach, ich glaube nicht. Es gibt nicht viele Männer, die eine Ärztin zur Frau haben wollen. Außerdem bin ich inzwischen zu alt. Ich werde dreißig, also bin ich schon eine alte Jungfer. Männer haben lieber etwas Jüngeres.“
Er lachte kurz auf. „Da ich schon vierunddreißig bin, scheint mir neunundzwanzig noch nicht sehr alt.“ Er war ein wenig überrascht, dass sie ihm so ohne Weiteres ihr Alter verriet. Nach seiner Erfahrung mieden Frauen dieses Thema, sobald sie jenseits der zwanzig waren. Seit er Annie kannte, sah sie aus gutem Grund oft müde aus, was sie älter wirken ließ. Auf der anderen Seite war ihre Haut weich wie die eines Babys und ihre Brüste noch so fest wie die eines jungen Mädchens. Beim Gedanken an ihre Brüste begann er, unbehaglich hin und her zu rutschen; seine Lenden rührten sich. Bisher hatte sie immer ihr Hemd getragen. Und er fühlte sich regelrecht betrogen, weil er ihre Brüste noch nicht gespürt, noch nicht die Farbe ihrer Knospen gesehen oder ihre Süße geschmeckt hatte.
„Waren Sie schon mal verheiratet?“, fragte sie und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf ihr Gespräch.
„Nein. Bis jetzt noch nicht.“ Er war vierundzwanzig gewesen und hatte gerade über die Sicherheit und Vertrautheit einer Ehe nachgedacht, als der Krieg begann. Die folgenden vier Jahre mit Mosby hatten ihn abgestumpft. Nachdem sein Vater im Winter 1864 gestorben war, war niemand von seiner Familie mehr da gewesen. Nach dem Krieg hatte er sich treiben lassen. Vielleicht hätte er damals über eine Heirat nachgedacht, wäre er nicht im Jahre 1867 über Tench Tilghman gestolpert. Der arme Tench! Ihm war nicht klar gewesen, wie schrecklich das Geheimnis war, das er hütete. Es hatte ihn sein Leben gekostet. Aber zumindest war er gestorben, ohne zu wissen, wie sehr sie hintergangen worden waren.
Die Erinnerung weckte eine dunkle Stimmung in ihm, die er mit aller Macht zurückdrängte, um Annie mit seiner düsteren Laune nicht anzustecken. „Wir sollten schlafen gehen“, murmelte er. Mit einem Mal konnte er es kaum noch erwarten, sie in den Armen zu halten, auch wenn es nur im Schlaf war. Vielleicht würde die besondere Süße ihrer Berührung seine Stimmung wieder heben. Er stand auf und begann, das Feuer mit Rinde abzudecken.
Annie war verwirrt über seine plötzliche Schroffheit, weil ihr das Gespräch mit ihm gefallen hatte, aber sie stand gehorsam auf. Dann fiel ihr ein, dass sie eine der Decken als Kleid verwendet hatte, die sie jetzt wieder abgeben musste. Sie blieb stehen und warf einen flehenden Blick in seine Richtung.
Als er sich umdrehte, erkannte er genau, was ihre Miene ausdrückte. „Ich werde Sie heute Nacht festbinden müssen“, sagte er so sanft wie möglich.
Sie hielt die Decke umklammert. „Festbinden?“, wiederholte sie.
Er deutete mit dem Kopf auf ihre feuchten Kleider, die zum Trocknen auf dem Boden ausgebreitet lagen. „Ich werde nicht auf einem Haufen nasser Kleider schlafen. Und da ich die Sachen nicht vor Ihnen in Sicherheit bringen kann, muss ich Sie vor den Sachen in Sicherheit bringen.“
Am Abend zuvor hatte sie selbst gesagt, ihr wäre
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