Gefangene des Feuers
gewusst, dass ihm ein Teil ihrer selbst gehören würde, wenn sie zuließ, dass er mit ihr schlief. Ein Teil, den sie nie wieder würde zurückfordern können. Doch sie hätte nie geglaubt, dass die Verbindung so stark sein würde.
Nachdenklich starrte sie ins Feuer. Da sie den genauen Tag in diesem Monat nicht bestimmen konnte, wusste sie auch nicht, ob ihre Monatsblutung bald beginnen würde, aber sicher würde es nicht mehr lange dauern. Es musste jetzt etwa drei Wochen her sein, als Rafe sie aus Silver Mesa entführt hatte, und ihre letzte Regel hatte ein paar Tage davor geendet. Sie hatte zwar einen ziemlich regelmäßigen Zyklus, aber auf den Tag genau konnte sie ihn trotzdem nicht bestimmen.
Was sie empfinden würde, wäre sie tatsächlich schwanger, wusste sie nicht. Ob es möglich war, dass man zugleich Angst hatte und glücklich war? Der Gedanke, sein Baby in sich zu tragen, ließ sie schwindeln vor Freude, aber mit einer schwangeren Frau würde er nur langsam vorankommen. Er würde sie irgendwo zurücklassen müssen, wenn sie die Strapazen der Reise nicht mehr ertragen könnte. Der Gedanke war ihr unerträglich. Verzweifelt wünschte sie sich, dass ihr Körper nicht so schnell ihre Fruchtbarkeit unter Beweis stellen würde.
Sie hatte ein Menschenleben ausgelöscht. Und vielleicht sorgte das Schicksal damit für Ausgleich, dass es ihr den Mann nahm, den sie liebte, nur weil sie neues Leben in sich trug?
Rafe sah von dem Tier auf und bemerkte die Verzweiflung in Annies Augen, während sie ins Feuer starrte. Er hatte gehofft, dass sie den Schock über Traherns Tod verwinden würde, aber das war offensichtlich noch nicht ganz der Fall. Tagsüber, wenn sie beschäftigt war, konnte sie die Erinnerungen verdrängen, aber wenn es dann ruhiger wurde, sah er, wie die Trauer sich wieder in ihr ausbreitete.
Nachdem Rafe den ersten Mann im Krieg getötet hatte, war er in der Lage gewesen, sich damit abzufinden, dass er Menschen das Leben genommen hatte. Denn schlicht gesagt stand dabei immer sein Leben gegen das des Feindes. So hatte er es immer gesehen. Aber er war ein Krieger, Annie nicht. Die Tiefe ihrer Gefühle, dieser Quell ihrer Leidenschaft war genau das, was ihn so für sie einnahm. Ein ungläubiges Lächeln umspielte seine Lippen, als er daran dachte, wie er sie bei ihrem ersten Treffen gesehen hatte. Dünn, müde und ziemlich unscheinbar. Wie hatte er nur so blind sein können? Wenn er sie jetzt anschaute, sah er eine Schönheit an ihr, die ihm jedes Mal den Atem nahm. Sie verkörperte Weichheit und Wärme, eine allumfassende Fürsorge, die ihn mit den zärtlichsten Fesseln umgab. Er sah Intelligenz und Wahrhaftigkeit und, Gott,
ja, eine körperliche Schönheit, die ihn schon erregte, wenn er nur einen Blick auf sie warf. Sie auszuziehen war, als würde er einen kostbaren Schatz auswickeln, der unter einer schlichten Verpackung verborgen lag.
Sie würde nie in der Lage sein, stillschweigend über den Verlust eines Menschen hinwegzugehen. Und er würde nie in der Lage sein, sie leiden zu sehen, ohne den Drang zu verspüren, sie zu trösten. Wobei er sich nicht sicher war, wie er das anstellen sollte.
„Du hast mir das Leben gerettet“, sagte er in die Stille hinein. Als sie ein wenig verwirrt aufsah, wurde ihm bewusst, dass er diese Tatsache vorher noch nicht in Worte gefasst hatte.
„Tatsächlich hast du mir schon zwei Mal das Leben gerettet. Das eine Mal mit deiner Heilkunst und dann bei Trahern. Er hatte ganz gewiss nicht vor, mich lebend zurückzubringen.“ Er widmete sich wieder seiner Arbeit. „Trahern war mal hinter einem siebzehnjährigen Jungen her, auf den eine Prämie ausgesetzt war. Der Junge hatte den Sohn eines reichen Mannes aus San Francisco umgebracht. Als Trahern ihn aufspürte, hat der Junge auf Knien vor Trahern im Schmutz gelegen und ihn angefleht, ihn nicht zu töten. Er schwor, nicht zu fliehen, und dass er sich friedlich verhalten würde, wenn er ihn zurückbrachte. Vermutlich hatte er von Traherns Ruf gehört. Doch all das hat ihm nichts genützt. Trahern hat ihm eine Kugel zwischen die Augen verpasst.“
Sie hörte seine unausgesprochene Botschaft: dass Traherns Tod kein großer Verlust für die Menschheit war. Sie erkannte aber auch noch etwas anderes, das ihr vorher nicht bewusst gewesen war, weil andere Dinge sie zu sehr beschäftigt hatten. „Ich bedaure nicht, dass ich Trahern getötet habe“, sagte sie bewusst langsam, weil sie wollte, dass er sie ansah. „Ich
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