Gefangene des Ruhms - Spindler, E: Gefangene des Ruhms
unter Beweis stellen zu müssen – Ali hätte Becky Lynn wohl eher die Hand abgehackt, als dass er sich von ihr hätte ins Handwerk pfuschen lassen.
Doch mehr noch als alles andere erstaunten Becky Lynn die Leute, die in den Shop kamen. Sie waren alle reich und schön, schlank und sonnengebräunt, rein körperlich gesehen einfach … perfekt.
Noch nie hatte sie solche Frauen gesehen. Selbst diejenigen, die nicht mehr jung waren, hatten glatte, straffe Haut und geschmeidige, schlanke Körper. Marty hatte sie kürzlich darüber aufgeklärt, dass jede Frau, die etwas auf sich hielt, regelmäßig einen Schönheitschirurgen aufsuchte und dass in Würde zu altern für diese Frauen hieß, sich in regelmäßigen Abständen liften zu lassen.
Was Becky Lynn in Anbetracht des Reichtums, den diese Frauen unzweifelhaft besaßen, nicht weiter verwunderte. Sie fuhren im Mercedes oder im Porsche vor oder wurden im Rolls Royce von einem Fahrer hergebracht. Beim Anblick ihrer Schmuckstücke stockte ihr fast der Atem: Diamanten, größer als Pfauenaugen, saßen in Ohrgehängen und klimpernden Armbändern, Smaragde und Rubine strahlten wie bunte Lichter am Weihnachtsbaum. Ihre Garderobe kauften sie selbstverständlich ausschließlich bei den bekanntesten Couturiers – Kleider, wie sie Becky Lynn bislang nur auf Fotos in der Vogue gesehen hatte.
Nur in einer einzigen Hinsicht erinnerten sie diese mondänen Frauen an Mrs. Abernathy und Mrs. Peachtrees aus Bend – in ihrer Fähigkeit, durch sie hindurchzusehen, als sei sie aus Glas. Becky Lynn war für sie einfach nicht vorhanden, sie war nur einer von unzähligen dienstbaren Geistern, die tagtäglich um sie herumschwirrten und ihnen jeden Wunsch von den Lippen abzulesen versuchten.
Und Becky Lynn dankte ihrem Schöpfer jeden Tag aufs Neue dafür, dass sie unsichtbar war. Wenn sich auch nur eine dieser eleganten und einflussreichen Frauen die Mühe gemacht hätte, sich Becky Lynn genauer anzuschauen, wäre ihr die Wahrheit wie Schuppen von den Augen gefallen. Sie hätte gemerkt, dass Becky Lynn nicht hierher gehörte. Und dann würde Sallie Gallagher sie feuern.
Becky Lynn zweifelte keinen Augenblick daran, dass diese schmuckbehängten Frauen mit ihrer Designergarderobe über großen Einfluss verfügten und sich auch nicht scheuten, ihn im Bedarfsfall geltend zu machen.
Und das in einer Art und Weise, von der eine Mrs. Abernathy nur träumen konnte.
In einer Art und Weise, von der Becky Lynn Lee lieber nicht zu träumen wagte.
Becky Lynn schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit, die im Moment darin bestand, die Regale aufzufüllen. Um sie herum herrschte rege Betriebsamkeit. Die Künstler waren bei der Arbeit – diese Künstler beiderlei Geschlechts, die dem Shop Leben einhauchten, ihm seine ganz besondere Atmopshäre verliehen. Sie lachten und schäkerten miteinander und schienen ständig in Bewegung zu sein.
Becky Lynn liebte es, den oft abenteuerlichen Geschichten, die sie einander erzählten, einfach nur zuzuhören, nie hätte sie es gewagt, sich an einem dieser Gespräche zu beteiligen oder womöglich sogar noch ihre eigene Meinung beizusteuern. Das Leben, das sie führten, war so anders als alles, was sie bisher kennen gelernt hatte, dass sie einfach nur wie gebannt lauschen konnte. Oder schockiert. Je nachdem.
Sie unterhielten sich über die gerade aktuelle Mode, das jeweils andere Geschlecht und über die einschlägigen Szeneclubs. Das beliebteste Gesprächsthema jedoch war Sex. Sie waren alle von einer geradezu erschreckenden Offenheit, was dieses Thema anbelangte. Vollkommen ungeniert erzählten sie, wann sie es wo mit wem und wie getrieben hatten. Sie redeten über ihre Sexualpartner und sexuellen Praktiken so offen wie über das Wetter.
Zwei der Haarstylisten waren homosexuell und hatten eine Beziehung miteinander. Sie bekannten sich ganz offen zu ihrem Schwulsein, wie sie es nannten, und küssten sich ungeniert vor aller Augen.
Becky Lynn hatte bisher noch nie in ihrem Leben einen Homosexuellen kennen gelernt. Früher wäre sie wahrscheinlich sofort davongelaufen. Am Anfang hatten sie Bruce’ und Fosters offen zur Schau gestellte Zärtlichkeiten stark verunsichert, doch das hatte sich schnell gegeben, nachdem ihr klar geworden war, dass es nichts mit ihr zu tun hatte. Sie kam rasch zu dem Schluss, dass die beiden sie ja auch nicht verurteilten, sondern sie so nahmen, wie sie war. Warum also sollte sie sich ihnen gegenüber anders
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