Gefangene Seele
du immer, für alles, was passiert, die Verantwortung zu tragen, auch wenn es gar nicht in deiner Macht steht?”
“Das mache ich gar nicht immer”, gab Jade zurück.
“Das ist Quatsch”, erwiderte Luke.
Jade holte tief Luft und starrte ihn böse an.
Er ignorierte sie.
“Da sind wir”, sagte er und lenkte den Wagen auf Sams Auffahrt. Nachdem er geparkt hatte, eilte er um das Auto herum, um Jade die Tür aufzuhalten, aber sie war schon ausgestiegen. Luke wusste, dass er sie wütend gemacht hatte. Aber das war ihm egal. Zumindest war das eine Reaktion von ihr, mit der er umgehen konnte. Ständig sich selbst die Schuld für etwas zu geben, was in dem eigenen Leben negativ war, war einfach ein Symptom von Personen, die mehrfach missbraucht worden waren.
Sie ging aufrechten Hauptes auf das Haus zu, ohne sich noch einmal zu Luke umzudrehen. Der Schmerz in ihrem Bauch war so heftig, dass sie dachte, sie müsse sterben. Immerhin hatte er sie beschimpft. Wenn sie etwas in ihren Händen gehalten hätte, hätte sie es nach ihm geworfen. Wie konnte er es wagen, ihren Schmerz in diesem ganzen fürchterlichen Durcheinander zu hinterfragen? Wie konnte er es wagen
sie
infrage zu stellen?
Sie hielt die Klinke in der Hand, als Sam von innen öffnete. Sie beeilte sich hineinzukommen.
“Ich bin froh, dass du wieder zu Hause bist”, sagte Sam. “Es tut mir leid, dass dir das nicht erspart geblieben ist. Geht es dir gut?”
Jade hielt an und drehte sich zu ihm um. Zu Hause? Ob es ihr gut ginge? Sie sah ihn an und nahm die Sympathie wahr, mit der er zu ihr sprach. Das war zu viel für sie. Entweder spürte sie Wut oder Trauer. Als Sam weitersprach, entschied Jade sich für die Wut.
“Kann ich dir etwas Gutes tun? Wir können über die Beerdigung sprechen, wenn …”
Sie hob die Hand, woraufhin er sofort still wurde.
“Es wird keine Beerdigung geben. Das würde nur noch mehr Futter für die Geier da draußen bedeuten, die den Schmerz anderer Leute mit ihren Kameras einzufangen versuchen, den Schmerz von Menschen, die sie noch nicht einmal kennen. Dann setzen sie es denjenigen vor, die abends vor dem Fernseher ihr Abendessen verspeisen. Ich werde niemandem zur Unterhaltung dienen! Keiner außer mir kannte Raphael, und ich werde es nicht zulassen, dass er in eine Kiste gepackt und in die Erde versenkt wird. Er hasste Enge.”
Luke kam in die Eingangshalle, als Jade gerade ihre Meinung bekannt gab.
“Hey!”
Sie drehte sich wütend um. In ihren Augen glänzten die Tränen.
“Lass deine Wut nicht an deinem Vater aus, nur weil du auf mich zornig bist”, sagte Luke. “Er hat dir nur seine Hilfe angeboten. Sag ihm, was du möchtest.”
“Was ich möchte? Was
ich
möchte? Da du ja alles besser weißt, kannst du es mir sicher sagen. Was will ich denn, Luke Kelly?”
Er stand für einen Moment lang still und betrachtete sie. Ihr stand die Panik ins Gesicht geschrieben. Während er sich bemühte, wieder ruhiger zu werden, wurde ihm klar, dass sie fast bewusstlos vor Angst war. Aber er konnte ihr nicht helfen, wenn sie es nicht zulassen wollte.
Mit einem frustrierten Seufzer warf er Sam die Wagenschlüssel zu.
“Danke, dass ich mir deinen Wagen leihen durfte. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.”
“Aber wie kommst du nach Hause?”, fragte Sam.
“Das ist mein Problem”, antwortete Luke und deutete auf Jade. “Sie da ist deines.”
Er ging mit großen Schritten aus dem Haus und warf hinter sich die Tür ins Schloss.
Als sie das Knallen der Tür hörte, war Jade, als habe ihr jemand ins Gesicht geschlagen. Sie kam wieder auf den Boden zurück, aber es war zu spät, sich bei Luke zu entschuldigen. Sie würde erst einmal mit Sam sprechen und sich dann später um Luke Kelly kümmern.
“Sam … es tut mir leid. Luke hatte recht.”
“Recht womit?”, fragte Sam und sah sie besorgt an.
“Ich weiß nicht, warum ich das tue, aber ich versuche, mir die Leute auf Distanz zu halten, die mir helfen wollen.”
Sam schüttelte den Kopf. “Es gibt keinen Grund, weshalb du dich bei mir entschuldigen solltest, Kleines. Ich weiß, dass es dir nicht gut geht. Wenn du etwas brauchst, dann sagst du es mir bitte, ja?”
Sie nickte und umarmte ihn dann spontan. Sobald er sie in den Arm nahm, spürte Jade, wie ihre Panik abklang. Und weil die Angst nicht mehr so groß war, konnte sie ihm ihre Gedanken erklären.
“Einmal, das ist schon lange her, waren Raphael und ich in Los Angeles. Wir hatten kein Geld, deshalb haben
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