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Gefangene Seele

Gefangene Seele

Titel: Gefangene Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Sala
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Telefonkonferenz”, sagte sie. “Er sagte mir, ich solle Ihnen Bescheid sagen, dass Sie rufen sollen, wenn Sie ihn sprechen wollen.”
    “Danke, ich bin oben.”
    Sie schüttelte den Kopf. “Ich hoffe, Sie haben mehr Glück als wir.”
    “Das hat nichts mit Glück zu tun. Es geht um Durchhaltevermögen”, antwortete er ihr. Um Jade nicht gleich zu überfordern, legte er das Bild unten auf den Flurtisch, dann ging er die Treppe hoch. Das Letzte, was Luke wollte, war, sie mit einem Gesicht aus der Vergangenheit zu konfrontieren, ohne dass sie Zeit gehabt hatte, sich darauf vorzubereiten.
    Jade schlich vom Bett zum Tisch und zurück. Wo immer sie auch hinschaute, sah sie ein lächelnder Raphael an. Sie hatte ihn in allen Posen gezeichnet, an die sie sich erinnern konnte. Aber das Lächeln war immer das gleiche und die Lippen öffneten sich nie, um mit ihr zu sprechen.
    Anstatt jetzt Trost aus den Bildern zu ziehen, machten ihr die Zeichnungen Angst. Jade stellte sich vor, dass das Lächeln sich in dämonisches Lachen verwandelte, immer dann, wenn sie wegschaute.
    Sie verstand es nicht. Rafie würde sie nie und nimmer verfolgen. Er hatte sie geliebt. Aber dann erinnerte sie sich daran, dass auch er vor ihr Geheimnisse, schreckliche Geheimnisse, gehabt hatte. Er hatte es sogar Luke erzählt, bevor sie davon erfahren hatte. Sie war nicht sicher, ob sie ihm das jemals verzeihen konnte. Und sie war sich auch nicht sicher, ob sie es sich verzeihen konnte, dass sie zugelassen hatte, dass Raphael im Endeffekt allein gestorben war. Es war ein Widerspruch, der sie zur Verzweiflung trieb.
    Plötzlich klopfte es an ihrer Tür. Sie drehte sich sofort um, ihre Hände waren zu Fäusten geballt.
    “Geh weg.”
    Luke lehnte mit seiner Stirn an dem Türblatt und schloss die Augen. Er hatte nicht erwartet, dass es leicht sein würde, aber damit hatte er nicht gerechnet. Ihre Stimme war so von der Trauer verzerrt, dass es ihm fast das Herz zerriss.
    “Das kann ich nicht”, sagte er.
    Jade holte geräuschvoll Luft. Es war Luke. Warum war er wiedergekommen? Er gehörte nicht hierher – er war in diesem Zimmer am falschen Ort. Das Zimmer gehörte ihr und Raphael.
    “Jade, lass mich ‘rein”, sagte Luke.
    Jade griff nach einer kleinen Porzellanfigur in einem Regal und warf sie gegen die Tür. Sie zersprang, genau so, wie Jades Leben in Scherben zerborsten war.
    “Ich habe doch gesagt, geh weg”, wiederholte sie.
    Luke knirschte mit den Zähnen und griff nach der Türklinke, aber die Tür war abgeschlossen.
    “Mach die Tür gefälligst auf, oder ich trete sie ein”, drohte er.
    Einen Moment lang war es still, dann hörte er ihre Stimme. Sie musste nah an der Tür auf der anderen Seite stehen.
    “Das würdest du nicht wagen.”
    “Wetten?”, warnte er sie.
    “Du gehörst hier nicht her.”
    Es schmerzte ihn, dass das beginnende Vertrauen, das sie zu ihm gefasst hatte, nicht nur verschwunden war, sondern dass Jade ihn nun bewusst auf Distanz hielt.
    “Ich gehe nicht eher weg, bevor wir uns gesehen haben.”
    Sie erschauderte, dann schlug sie die Hände vors Gesicht.
    Er wollte sie sehen? Sie ertrug ja noch nicht mal ihr eigenes Spiegelbild. Warum würde jemand sie überhaupt anschauen wollen?
    “Es gibt nichts zu sehen.”
    “Das musst du mir beweisen.” Luke sagte etwas lauter: “Mach’ jetzt die Tür auf, oder ich trete sie ein.”
    Jade schaute auf, sie hatte jeden Muskel angespannt, dann rief sie: “Das wirst du nicht tun! Du wirst das nicht wagen!”
    Die Tür erbebte bei seinem ersten Tritt, erst dann wurde Jade klar, dass Luke keine Witze machte.
    “Warte!”, rief sie. “Warte!”
    Luke hielt inne, sein Atem ging schwer, sein Puls raste. Er hörte, wie sie aufschloss und sah, wie die Klinke niedergedrückt wurde. Dann sah er Jade, und der ganze Ärger, den er aufgestaut hatte, wandelte sich in Schrecken.
    Jade trug noch dieselben Sachen, die sie zuvor in der Leichenschauhalle angehabt hatte. Ihr Haar stand wirr vom Kopf ab oder hing in Zotteln auf ihre Schultern. Es sah aus, als sei sie mit ihren Fingern unzählige Male hindurchgefahren. Sie zitterte; Luke nahm an, es lag an der körperlichen Erschöpfung, unter der sie litt. Ihren Gesichtsausdruck würde er nie wieder vergessen können. Sie sah genau aus wie das kleine Mädchen im Einkaufszentrum, das seine Mutter verloren hatte. In ihrem Gesicht standen sowohl Verzweiflung als auch Erschöpfung.
    Luke holte tief Luft, wappnete sich für alles, was auf ihn

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