Gefangene Seele
er ihr das sagen sollte, das war sein Problem. Seltsamerweise gab Jade ihm den Anlass, das anzusprechen.
“Ich möchte dir etwas zeigen”, sagte sie und ging die Treppe hinauf, um ihm das neue Atelier zu präsentieren.
Luke verriet nicht, dass Velma ihm schon erzählt hatte, dass Sam diese Überraschung für Jade vorbereitet hatte.
“Oh … Mensch, das ist ja toll”, sagte er, als er durch die beiden Räume ging und sich alles ansah.
Dann erst sah er das Gemälde, das auf einer Staffelei am Fenster stand.
“Ist das das Gemälde, an dem du gearbeitet hast?”
“Ja.”
“Darf ich es mir ansehen?”
Sie nickte und drehte sich dann um, um nicht Lukes Gesichtsausdruck zu beobachten, als er sich das Porträt ansah.
Er hatte keine Ahnung, dass es sein Bildnis war. Er betrachtete das Porträt und erkannte, dass sie es anhand der Skizze gemacht hatte, die sie von ihm in der Nacht gezeichnet hatte, als er bei ihr geblieben war. In dem Bild hatte sie ihn wie einen Menschen dargestellt, der zwar erschöpft, aber optimistisch war – immer mit einem aufmerksamen Blick auf die Person, die alleine im Bett lag.
Er drehte sich zu ihr um.
Noch immer sah sie in eine andere Richtung.
“Jade?”
“Ja?”
“Sieh mich an.”
Sie drehte sich zu ihm um.
“Siehst du mich so?”
Sie nickte.
Er nahm sie in seine Arme und drückte sie an sich.
Sie hatte Tränen in den Augen, aber sie weinte nicht.
“Du hast mich beschämt. Ich fühle mich geehrt, mehr als du ahnst.”
“Du hast mich beschützt … wie Rafie es früher getan hat.” Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. “Nur, dass Raphael mich angelogen hat. Du nicht.”
Luke seufzte. Jade war immer noch wütend und ließ ihre Trauer nicht zu. Sie musste einen positiven Weg finden, über das Vergangene zu trauern.
“Raphael hat dich nicht angelogen.”
“Aber er hat mir nicht genügend vertraut, um mir die Wahrheit zu sagen.”
“Nun, vielleicht hat er dich so sehr beschützt, als du klein warst, dass ihm nie aufgefallen ist, dass du irgendwann erwachsen geworden bist. Er hat dir sicherlich vertraut, aber vielleicht wusste er nicht, wie er sich auf dich verlassen kann, als Schulter, an die man sich anlehnt, meine ich. In der Art und Weise, wie er die starke Schulter für dich gewesen ist.”
Nun rannen ihr die Tränen über die Wangen. “Dann ist es meine Schuld, nicht seine, denn ich habe mich an ihn angelehnt. Jede Nacht. Jedes Mal, wenn mir ein fremder Mann zu nahe gekommen ist. Jedes Mal, wenn ich Panik bekam und davonlaufen wollte.”
“Das heißt, du bist ihm gar nicht wirklich böse.”
Sie wischte sich mit einer schnellen Bewegung die Tränen aus dem Gesicht, als müsse sie sie abschrubben.
“Ich glaube, am meisten bin ich wütend auf mich selbst.”
“Weißt du auch warum?”
“Weil ich mich auf alle anderen Leute in meinem Leben verlassen habe, nur nicht auf mich selbst.”
“Und was bedeutet das jetzt für dich?”
Sie seufzte. “Zuerst einmal, mich auf mich selbst zu verlassen.”
“Und das ist jetzt das Zeichen für mich, nach Hause zu fahren”, sagte er leise.
“Aber ich wollte gar nicht … ich meine …”
“Doch, wolltest du”, sagte Luke zärtlich. “Ich bin jederzeit zu erreichen, ich bin ja nicht weit weg. Und ich gehe fest davon aus, dass wir demnächst zusammen essen gehen. Wir reden und gehen spazieren und tun alles, was eine Frau und ein Mann tun, wenn sie verliebt sind.”
Mehr Tränen rannen jetzt über ihre Wangen.
“Versprich mir, dass du nicht böse auf mich bist.”
“Um Himmels willen, nein”, sagte Luke und nahm sie in seine Arme. “Ich bin so verliebt in dich, dass es kaum auszuhalten ist. Ich will dich heiraten und dich bis ans Ende meiner Tage lieben. Ich will Kinder und Enkel und Lachen …” Mit seinem Daumen strich er die Tränen von ihren Wangen.
“Sogar Tränen. Darum geht es doch im Leben, und ich will all das mit dir zusammen erleben. Nur bist du dazu noch nicht bereit, das wissen wir beide.”
“Aber wie weiß ich, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist?”, fragte sie.
“Das wirst du erkennen. Und wenn es so weit ist, dann sagst du es mir. Und dann werden wir gemeinsam unsere Träume verwirklichen. Im Moment musst du erst einmal lernen, dir selbst zu vertrauen, bevor du mir vertraust.”
Sie nickte.
Er berührte die Staffelei, auf der die Leinwand stand. Luke spürte, mit wie viel Liebe Jade das Porträt gemalt hatte.
“Darf ich das haben?”, fragte er.
“Ja”,
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