Gefangene Seele
hat. Als ihr Freund hast du dafür zu sorgen, dass sie ihr Versprechen einhält.”
“Und wenn ich sie an den Haaren zur Therapie schleifen muss”, versicherte ihm Luke.
Plötzlich fühlte sich Raphael sehr erschöpft und schloss die Augen.
“Gut. Geht ihr beiden jetzt irgendwohin und vertragt euch? Ich bin müde. Ich will schlafen.”
“Du musst mal rasiert werden, und dir müssen die Haare geschnitten werden”, murmelte Jade, rupfte ein paar Kosmetiktücher aus einem Karton, der auf dem Tisch stand, und putzte sich geräuschvoll die Nase.
Raphael lächelte versöhnt. “Was? Willst du damit sagen, dass ich wieder anfange auszusehen wie Jesus?”
Sie schnäuzte sich noch einmal. Dann lehnte sie sich zurück und betrachtete sein Gesicht. Einige Jahre zuvor, als sie weniger Glück als sonst hatten, hatte sich Raphael einen Bart stehen lassen und auch die Kosten für einen Friseurbesuch gespart. Ein alter Mann, der in Oklahoma City an einer Straßenecke saß und bettelte, hatte ihn kurz angesehen und gedacht, Jesus Christus sei ihm erschienen. Daraufhin war er vor Raphael auf die Knie gefallen.
Sie wussten nicht, was sie davon zu halten hatten, bis der Alte den Saum von Raphaels Hemd berührte und ihn anflehte, ihn von den Folgen seiner Sünden und des Alkohols zu befreien. Es hatte eine Weile gedauert, bis Jade und Raphael das Gemurmel des Mannes verstanden hatten, aber schließlich dämmerte es ihnen, dass der Fremde glaubte, vor sich Jesus zu sehen.
“Sei nicht so eitel”, sagte sie und warf die Taschentücher in den Müllkorb in der Ecke. Dann gab sie Raphael schnell einen Kuss.
“Bis nachher.”
Er hielt ihre Hand fest. “Wohin gehst du?”
“Raus, damit du dich ausruhen kannst.”
“Das ist nicht die Antwort, die ich meine”, bohrte Raphael nach.
Sie wollte ihm eigentlich böse sein, aber sie brachte es nicht übers Herz, weiter mit ihm zu streiten.
“Gehe ich vielleicht mit meinem neuen Freund spielen?”
Raphael grinste. “Dachte ich mir doch, dass du das gerade gesagt hast.”
“Also, gehst du mit deinem neuen Freund spielen?”, fragte Luke.
Raphael hielt den Atem an und wartete gespannt, als sich Jade zu Luke umdrehte.
“Ich weiß es nicht, vielleicht.”
Er streckte ihr die Hand entgegen. “Ich nehme an, dass soll ja heißen. Wollen wir herausfinden, ob wir noch andere gemeinsame Interessen haben, außer dem, dass wir auf ein Wunder für Raphael hoffen?”
“Ja”, sagte sie. Erst danach wurde ihr klar, dass sie es ernst meinte. Sie tätschelte Raphaels Bein. “Ich komme in ein paar Minuten wieder. Lauf nicht weg.”
Raphael lächelte und scheuchte die beiden mit einer Handbewegung aus der Tür. Aber sobald die Tür geschlossen war, unterdrückte er ein Stöhnen. Gott, wie tat das weh! Zuvor hatte er Angst gehabt vor dem Sterben. Nun dachte er darüber nach, welche Erleichterung es bedeuten könnte. Als er zwischen Atmen und Schreien hin- und herschwankte, wurde die Tür wieder geöffnet. Weil er dachte, es sei Jade, bereitete er sich schon darauf vor, wieder mit ihr zu schimpfen. Aber es war die Krankenschwester.
Sie lächelte und hielt eine Spritze mit einem Schmerzmittel in die Höhe.
“Halten Sie immer noch durch?”
Der Schmerz breitete sich in seinem ganzen Körper aus. “Ich glaube, vielleicht wäre ein wenig nicht schlecht. Nur geben Sie mir nicht wieder so viel, dass ich gleich wieder weg bin.”
“Dr. Tessler hat die Medikation geändert. Er trug mir auf, Ihnen zu sagen, dass dieses Mittel nicht ganz so stark ist.”
“Richten Sie ihm aus, dass ich mich bedankt habe”, sagte Raphael.
Er schloss die Augen, als die Schwester begann, das Schmerzmittel in die Infusion zu spritzen. Raphael wartete darauf, dass es seine wunderbare Wirkung entfalten würde.
Aber es geschah noch ein anderes Wunder, als Luke mit Jade zum Aufzug ging.
“Wie wäre es, wenn wir etwas essen gingen?”, fragte er. “Schließlich war die Nudelsuppe letztens auch nicht so schlecht. Ich würde es noch auf einen weiteren Versuch ankommen lassen.”
Jade zuckte mit den Schultern und nickte dann. “Es ist mir gleich, solange wir hier in der Cafeteria sind. Ich will nicht so weit weg gehen.”
“Klar, kein Problem”, antwortete Luke.
Sobald sie den Aufzug erreicht hatten, schwiegen sie wieder für eine längere Zeit. Schließlich wurde Luke klar, dass er selbst die Initiative ergreifen musste, wenn er wollte, dass sich sein Verhältnis zu Jade entspannte.
“Jade, ich sage
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