Gefechte der Leidenschaft
gegenübertreten musste. Lisette, die den Gedanken gar nicht ertragen konnte, beugte sich zu ihm hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Für einen Moment fürchtete sie, er könne dieser flüchtigen Geste zu viel Bedeutung beimessen, sie zu umarmen versuchen oder sich andere Freiheiten herausnehmen. Doch nichts dergleichen geschah. Er wurde purpurrot bis in die Spitzen seiner Ohren, dann kräuselten sich seine Lippen zu einem bezaubernden Lächeln. »Ich danke Ihnen, Madame, meine allerliebste Madame Moisant.«
Er drückte ihr das Gedicht in die Hand, stand auf und deutete - ganz vollendeter Gentleman — eine Verbeugung an, bevor er eilig das Zimmer verließ.
Lisette starrte auf das Papier in ihrer Hand, bis eine Träne darauf fiel und die Zeilen verwischte. Da holte sie ihr Taschentuch heraus und betupfte vorsichtig das Blatt.
Das Theaterstück am Abend fand vor einem sehr kleinen Kreis von Zuschauern statt, deren Begeisterung leider zu wünschen übrig ließ. Doch das passte zu der schwachen, lustlosen Aufführung. Nicht einer der Schauspieler wusste seinen Text auswendig und so hatte Blackford als Souffleur reichlich zu tun. Immer wieder kam es zu peinlichen Situationen, wenn die Akteure vergaßen, wohin sie zu gehen oder wen sie als Nächstes anzusprechen hatten.
Trotz allem gelang es ihnen nicht, Sheridans Meisterwerk gänzlich zu verderben, und so gab es auch ein paar flüssige Passagen, bei denen das Publikum an den richtigen Stellen lachte. Rio und Celina als Mann und Frau, die, in einer arrangierten Ehe gefangen, an der Liebe des jeweils anderen zweifelten, waren besonders gut. Das Lächeln und die Blicke, die sie zuweilen tauschten, weckten in Lisette die Sehnsucht nach einer solch tiefen Vertrautheit mit einem anderen Menschen, nach dieser wortlosen Übereinstimmung zweier verwandter Seelen.
Fast den ganzen Abend über brauste der Sturm um das Haus. Donner rumpelte und krachte und Blitze zuckten in schier endloser Folge. Schon früh hatte man alle Türen, Fenster und Jalousien geschlossen, dennoch fuhren kühle Windstöße durch die Räume und brachten die Flammen der Lampen in ihren Glaskolben zum Flackern. Als dann endlich der Regen einsetzte, geschah es mit der Gewalt einer Sintflut. Er hielt während des Abendessens an und prasselte noch immer herab, als alle nach und nach zu Bett gingen.
Lisette lag da und lauschte auf jeden Wasserschwall, den der Wind gegen das Haus klatschte. Und als schließlich der Sturm abflaute und der Regen aufhörte, war sie immer noch wach, starrte in die Dunkelheit und dachte daran, wie durchweicht der Boden auf dem Duellplatz sein würde. Sie überlegte, ob das Duell wohl verschoben oder gar abgesagt wurde und ob die Gegner bei wolkenverhangenem Himmel vielleicht verschlafen würden. Dann stellte sie sich vor, wie sie den Weg hinunter zum Pekannusswäldchen nehmen würden, und fragte sich, ob die beiden wohl Seite an Seite gehen würden, so als seien sie die besten Kameraden. Aber vielleicht gab es ja so etwas wie eine Vorschrift, wer vorneweg gehen durfte. So viele Gedanken zogen ihr in endloser Folge durch den Kopf und erst, als sie jeden Gedanken an Schlaf bereits aufgegeben hatte, schlief sie doch noch ein.
Mit einem Ruck wurde sie wach, aufgeschreckt durch Rufe und Stimmengewirr. Das ganze Haus schien in Aufruhr. Noch bevor Lisette aus dem Bett steigen konnte, flog die Tür auf und Agatha kam ins Zimmer gerannt.
»Oh, meine Liebe, wie schrecklich! Der junge Monsieur Dorelle ist schwer verwundet und Monsieur Blackford auch. Was für ein Durcheinander, man glaubt es kaum! Und anscheinend weiß keiner, was jetzt zu tun ist.«
»Waren Wundärzte dabei? Werden die beiden versorgt?« Lisette sprang aus dem Bett, griff sich irgendetwas aus dem Kleiderschrank und zog sich dann das Nachthemd über den Kopf.
»Es stand nur ein Arzt zur Verfügung, immerhin sind wir ja auf dem Land. Und der kümmert sich um Monsieur Dorelle. Der Engländer hat darauf bestanden.«
»Wohin haben sie ihn gebracht?« Sie ließ sich von Aga-tha mit dem Korsett helfen, während sie gleichzeitig in ihre Unterröcke stieg und hastig die Bänder festschnürte.
»Sie bringen Blackford gerade ins Haus. Madame Herriot lässt sein Zimmer herrichten. Und Dorelle wurde, glaube ich, im Sommerspeisezimmer im Erdgeschoss untergebracht. Er ... er ist zu schwer verletzt, als dass man es wagen könnte, ihn nach oben zu schaffen.«
Ein flüchtiges Deja-vu-Gefühl überkam Lisette, als sie sich
Weitere Kostenlose Bücher