Gefechte der Leidenschaft
Augenblick lang fragte sie sich, wie Caid sie wohl sehen mochte. Die meisten Leute hielten sie für klein gewachsen, vielleicht, weil sie zarte Knochen hatte. Sie war sich aber sicher, dass sie von mittlerer Größe und Gestalt war, nicht ganz so vollbusig, wie es die herrschende Mode verlangte, aber ganz passabel. Sie zog die Leinendecke über sich. Als sie wieder aufblickte, waren die Augen des Fechtmeisters auf die Wand über ihrem Bett gerichtet.
»Das erklärt immer noch nicht, wie Sie auf das Grab Ihres Mannes gekommen sind«, sagte er in hartem, abweisendem Ton.
»Jedenfalls nicht in einem Anfall von Schwermut. Das ist alles, was ich Ihnen dazu sagen kann.«
»Ist Ihnen klar, dass Sie an einer Lungenentzündung oder an der Überdosis hätten sterben können, wenn ich nicht aufgetaucht wäre?«
»Also muss ich Ihnen dankbar sein und alles, was Sie mir vielleicht schuldeten, ist damit abgeglichen?« Sie bedachte ihn mit einem finsteren Blick, denn dieses Argument war durchaus stichhaltig, auch wenn sie es nur ungern zugeben mochte.
»Ich finde, es gibt Schlimmeres, als in den Wahnsinn getrieben zu werden.«
»Ja«, stimmte sie traurig zu und richtete ihren Blick wieder auf das Kruzifix, »zum Beispiel, auf einen Friedhof geschafft und dort seinem Schicksal überlassen zu werden.«
»Geschafft«, wiederholte er mit gepresster Stimme.
»Da ich keinen Grund hatte, mich freiwillig dort hinzubegeben, muss ich wohl annehmen, dass es so gewesen ist.«
Es folgte ein langes Schweigen. Lisette wagte kaum zu atmen, während sie auf seine Antwort wartete. Im Haus schlug eine Uhr die vierte Morgenstunde. Unten im Hof, hinter der gläsernen Balkontür, begannen Vögel zu zwitschern und irgendwo krähte ein Hahn. Wie friedlich die Geräusche waren, so ganz anders als die Stimmung in diesem Schlafzimmer ...
Caid O’Neill wandte sich von ihr ab, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und umfasste dann seinen Nacken. »Sie müssen doch wissen, wie ungeeignet ich für die Stellung bin, die Sie mir zugedacht haben.«
»In gesellschaftlicher Hinsicht, meinen Sie wohl. Das ist mir im Moment ziemlich gleichgültig. Schließlich brauche ich keinen ständigen Begleiter. Während der Trauerzeit sind eh nur die bescheidensten Vergnügungen gestattet.«
»Die Zeit des Kummers wird nicht ewig dauern.«
Es drängte sie, ihm zu offenbaren, wie wenig Kummer sie empfand. Doch was für einen unnatürlichen Eindruck würde es machen, wenn sie ihm verriet, dass sie um ihren Mann nicht stärker trauerte als um einen beliebigen Bekannten. »Das Arrangement müsste ja nicht allzu lange dauern, nur bis alle gesehen haben, dass ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte bin und nicht von irgendeiner Krankheit zerrüttet.«
»Das kann Monate dauern.«
»Eher Wochen«, widersprach sie voller Optimismus.
»Es wird Ihnen nicht gefallen, allein zu leben.«
»Im Gegenteil, ich werde es unglaublich genießen. Sie können ja nicht wissen ...«
»Was? Was kann ich nicht wissen? Was finden Sie so erstrebenswert? «
Sie zögerte einen Augenblick lang und platzte dann heraus: »Frei sein, ich möchte frei sein.«
»Frei? « Er schaute sie mit gefurchter Stirn an.
»Frei, zu tun, was immer ich will, ohne meine Gründe nennen zu müssen, oder gehen zu können, wohin es mir passt, ohne jemandem Rechenschaft abzulegen. Ich möchte allein sein, vollkommen allein. Ich war nie allein, müssen Sie wissen. Immer war jemand bei mir, meine Gouvernante, meine Mutter und später meine Zofe oder mein Mann. Sogar, wenn ich in meinem Schlafzimmer eingesperrt wurde, war ich nicht allein, denn meine Zofe blieb bei mir.«
»Was Sie sich wünschen, ist unmöglich«, sagte Caid ruhig. »Wie man es auch dreht und wendet, in der Welt, in der wir leben, brauchen Frauen Schutz.«
Sie starrte ihn an und nahm ihren ganzen Mut zusammen, um dem festen Blick seiner blauen Augen standzuhalten. »Schutz ist eine Sache, Unterdrückung eine ganz andere. Deshalb habe ich mich an Sie gewandt.«
»Am sichersten wären Sie mit einem neuen Ehemann. Das würde Moisants Ambitionen ein für alle Mal ein Ende setzen.« Er lehnte sich gegen die Fensterbank, kreuzte die Arme über der Brust und wartete auf ihre Antwort.
»Ich will keinen Ersatz für Eugene. Ein Ehemann ist sogar das Letzte, was ich will.«
»Im Moment vielleicht.«
»Für immer.«
»Sie sind eine junge Frau und viel zu attraktiv, um lange als Mauerblümchen herumzuhocken«, sagte er mit einem beiläufigen
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