Gefechte der Leidenschaft
Sie nahm ihm das nicht übel, war es aber endgültig leid sich vorschreiben zu lassen, was sie tun und lassen sollte. Um jeden Preis wollte sie ihre eigene Herrin sein.
Aber wie er geschaut hatte, als sie ihm sagte, dass ihr oberflächliches Geschwätz egal sei und sie eine intelligente Unterhaltung bevorzuge! Verblüffung und Missbilligung wechselten sich auf seinem interessanten Gesicht ab. Und schien er nicht auch ein klein wenig fasziniert zu sein? Aber was fiel ihm eigentlich ein, ihre Worte und Taten zu missbilligen? Dadurch, dass er auf ihre Bitte einging, war er schließlich nicht ihr Besitzer geworden!
Das Rasseln einer Kutsche, die vor der Tür hielt, zog Lisettes Aufmerksamkeit auf sich. Geschwind ging sie zu einer der Glastüren hinüber, die auf den Balkon an der Straßenseite führten, und öffnete sie. Dann machte sie einen Schritt hinaus und spähte über die schmiedeeiserne Brüstung.
Einer Mietdroschke, die direkt unter ihr hielt, entstieg soeben eine Dame von eckigem Körperbau und aufrechter Haltung, gekleidet in düster grau-braun gestreifte Merinowolle, auf dem Kopf eine billige Strohhaube. Mit einer energischen Bewegung drehte sie sich um und bedeutete dem Kutscher ihr das Gepäck anzureichen.
»Agatha! Da bist du ja schon!«, rief Lisette vom Balkon hinab. »Ich kann es kaum glauben. Bleib da, ich komme gleich runter und bezahle die Droschke.«
»Unsinn, meine Liebe«, setzte die Dame zum Sprechen an, aber Lisette hörte sie schon nicht mehr. Sie wirbelte herum und rannte durch den Salon und hinaus auf die Galerie, die um den Innenhof herumlief. Am anderen Ende, nahe der Mauer des Nachbarhauses, lag die Treppe, die sie jetzt mit fliegenden Röcken hinuntereilte, wobei sie in ihrer Hast beinahe strauchelte. Im Laufschritt durchquerte sie die angenehm kühle Kutschendurchfahrt, die, von Backsteinmauern gesäumt, unter den oberen Stockwerken hindurchführte. An ihrem Ende öffnete sie die kleine, in das größere schmiedeeiserne Tor eingelassene Fußgängerpforte und trat auf die Straße hinaus.
Die Mietdroschke fuhr bereits davon und Agatha Stilton stand neben ihren bescheidenen Habseligkeiten - einem abgeschabten Koffer, einer prall gefüllten Reisetasche und einem voluminösen wollenen Handarbeitsbeutel. Sie hielt ihr Ridikül mit lockerem Griff und ein kleines Lächeln erhellte ihr schmales Gesicht. »Also, meine Liebe?«
»Oh, Aggie!« Lizzie rief den Namen, den sie als Kind benutzt hatte, und schloss die dünne Gestalt in die Arme. »Ich habe dich so vermisst!«
»Ich dich auch«, entgegnete die Ältere mit hochroten Wangen und feuchten Augen, während sie die Umarmung erwiderte. »Es scheint mir so lange her zu sein, seit wir zusammen waren.«
»Zu lange«, bestätigte Lisette, denn es waren seitdem wirklich schon viele Monate vergangen. Agatha, die aus Boston stammte, war von Lisettes fünftem Lebensjahr an bis zu deren Heirat ihre Gouvernante gewesen. Als eine Dame, die ihre eigenen, ganz entschiedenen Ansichten über die Rechte und Fähigkeiten von Frauen vertrat, hatte sie Lisette auf eine Art und Weise erzogen, die eher für einen jungen Mann gepasst hätte als für ein Mädchen, das zwangsläufig heiraten würde. Im Laufe der Zeit hatte sich aus ihrer Lehrerin-Schülerin-Beziehung eine Freund-schaft entwickelt, in der Lisette nichts vor ihrer lieben Aggie verheimlichte.
Die Gouvernante war gegen die von Lisettes Mutter eingefädelte Verlobung gewesen, zum einen, weil sie ihren Schützling mit achtzehn Jahren für zu jung zum Heiraten hielt, zum anderen, weil sie den Eindruck hatte, der Bräutigam lasse die angemessene Begeisterung für die Ehe vermissen. Obwohl in den meisten Dingen eine durchaus praktisch veranlagte Frau, hatte sie durch ihre Vorliebe für romantische Dichtung doch gewisse schwärmerische Züge angenommen. Daher erschien ihr die kreolische Sitte, Ehen auf der Basis von Vermögen und Abstammung zu arrangieren, überaus bedauerlich.
Nach Lisettes Heirat war Agatha bei einer Familie in St. Francisville in Stellung gegangen und etwas über ein Jahr dort geblieben. Als sie wieder in der Stadt war, wollte Lisette sie in das Haus der Moisants einladen, doch Eugenes Vater hatte es verboten. Er hegte eine tiefe Abneigung gegen diese Frau, die ihre eigene Unabhängigkeit auch ihrem Zögling vermittelt hatte, und wollte auf jeden Fall vermeiden, dass Lisette in ihr eine Verbündete fand. Wenn sie Agatha sehen wollte, musste sie sich heimlich davonstehlen, was vor
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