Gefechte der Leidenschaft
nachfragen?«
Caid nickte kurz.
»Ausgezeichnet. Nicholas und ich sind sofort wieder da.«
Caid sah seinen beiden Freunden nach, wie sie über das zertrampelte Gras davongingen, um mit Vigneauds Sekundanten und dem Arzt zu sprechen. Allem Anschein nach hielt der es für unmöglich, das Duell fortzusetzen, da der Arm seines Patienten zu schwer verletzt war, um einen Degen zu führen. Caid war nicht überrascht, denn genau das hatte er beabsichtigt.
Während sich Rosiere noch weiter mit den Männern unterhielt, kam Nicholas zu Caid zurück. »Hast du es gehört?«
Caid bejahte.
Nicholas griff nach dem Degen und Caid überließ ihm die Waffe nach kurzem Zögern. Der Freund zog ein gefaltetes Tuch aus seiner Rocktasche, wischte die Klinge ab und polierte sie auf Hochglanz. »Ich sehe Quentell nirgends«, sagte er nach einem Blick über den Platz. »Vielleicht hat ihn der Mut verlassen.«
Auch Caid nahm die Umstehenden in Augenschein. Es stimmte, den Regeln nach hätte sich Quentell, sein nächster Gegner, schon mit seinen Helfern auf dem Duellplatz bereit halten müssen. Dies war ein klarer Verstoß gegen die Vorschriften. Zwar ging man in New Orleans mit zeitlichen Absprachen eher ungezwungen um, doch galt dies nicht für Ehrenhändel, wo Unpünktlichkeit als bewusste
Beleidigung oder Feigheit ausgelegt wurde. Er musste Quentell noch ein paar Minuten zugestehen, sollte dieser einen Unfall gehabt haben, doch danach würde er zum Unterlegenen erklärt werden.
Wollte Gott, dass es so käme.
Caid war selbst überrascht, dass er wünschte, sein Kontrahent möge nicht erscheinen. Dabei war nicht Furcht sein Beweggrund, obwohl der Ausgang eines Kampfes zwischen Fechtmeistern immer zweifelhaft war. Er hatte einfach einen Widerwillen dagegen, heute noch mehr Blut zu vergießen.
War er im Begriff, die Nerven zu verlieren? Das geschah zuweilen. Plötzlich empfand man Abscheu vor dem Ideal der persönlichen Ehre und der Notwendigkeit, sie unter Einsatz des Lebens zu verteidigen — Abscheu vor dem erbitterten Ringen und der Todesangst im Auge des Gegners, vor dem Bewusstsein, dass man den Tod in der Hand hielt. Ja, und dann den Widerwillen, die Anklage und Verurteilung in den Augen derjenigen zu lesen, die den Getöteten gekannt hatten.
Zum Beispiel in den Engelsaugen von Lisette Moisant.
Wenn diese Zweifel einen Fechter beschlichen, dessen Leben und Tod gleichermaßen von seiner Entschlossenheit und seinem Geschick mit dem Degen abhingen, dann konnte es ein Unglück geben, denn keine Gefahr war tödlicher.
»Vigneaud ist erledigt«, sagte Rosiere, als er herangeschlendert kam.
»Erledigt?«, fragte Caid in scharfem Ton. »Ich dachte ... Wie ist das möglich? Ich habe nur seinen Arm getroffen.«
»Beruhige dich, mon ami. Nicht erledigt für immer, sondern nur für heute.«
Caid überfiel ein ungeheures Gefühl der Erleichterung.
Sie warteten vergeblich auf Quentell. Gerüchte machten die Runde, dass er gesehen worden war, wie er an Bord eines Dampfers ging, der flussaufwärts fuhr. Endlich erschienen die beiden Männer, die als seine Sekundanten hätten fungieren sollen, und erklärten, dass ihr Duellant nirgends zu finden sei. Anstandshalber erboten sie sich, an Stelle des Vermissten zu kämpfen, was selbstverständlich abgelehnt wurde.
Caid zog sich wieder Weste und Rock über und fuhr mit seinen Männern in die Stadt zurück. Nach einem üppigen Frühstück für alle machten er und Nicholas sich auf den Weg zur Place d’Armes, wo die Miliz unter dem Kommando ihres Vorgesetzten Offiziers exerzierte. Sie waren erst am Tag zuvor in die Bürgerwehr eingetreten und sollten nun einen ersten Eindruck von der halbmilitärischen Disziplin bekommen. Das sture Marschieren nach gebrüllten Befehlen war ein willkommenes, wenn auch etwas entwürdigendes Gegenmittel für Caids Anfall von Melancholie.
Zwei Stunden später durften sie wieder gehen und erhielten schriftliche Anweisungen, wie ihre Uniformen aussehen mussten. Erst beim Lesen der Vorschriften wurde Caid und Nicholas klar, dass man sie zu Feldwebeln mit eigenem Kommando ernannt hatte. Falls sie zu lange zauderten, liefen sie Gefahr, dass andere frisch gebackene Offiziere ihnen zuvorkommen und den gesamten Vorrat an Goldtressen und Kammgarntuch aufkaufen würden. Also machten sie sich unverzüglich auf den Weg zu dem Schneider, den ihr Kommandant ausgesucht hatte. Nachdem eine Stunde lang von jedem ihrer Körperteile Maß genommen worden war, durften sie endlich
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