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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Richter Geary genauso lässig und als sei er durch nichts zu erschüttern, wie zuvor im Angesicht der Geschworenen. Im Gegensatz zu Cotton, der manchmal ins Schwitzen und gelegentlich ins Stottern gerät, scheint Pickering diese ganze Vorstellung gründlich zu genießen. Und nichts hat ihn vielleicht so sehr amüsiert wie die Geschichte mit der Gabel.
    Mrs. English sagte aus, in den frühen Morgenstunden des Freitags, 15. Januar, habe ihr Mann sie mit einem spitzen Gegenstand angegriffen. Beim Kreuzverhör während der ersten Verhandlung stellte sich heraus, daß es sich bei diesem Gegenstand um eine Gabel gehandelt hatte, mit der Harrold English einen Auflauf essen wollte, den er aus dem Kühlschrank geholt hatte.
    »Sie wollen allen Ernstes behaupten, Sie hätten Angst gehabt, Ihr Mann würde Sie mit einer Gabel umbringen?« fragte Pickering Mrs. English, die unter Eid stand, mit offenkundiger Ungläubigkeit.
    »Ja«, antwortete Mrs. English ihrer Art entsprechend ruhig und direkt.
    »Mit derselben Gabel, mit der er gerade den Makkaroniauflauf gegessen hatte?« fragte Pickering und legte noch eine Spur mehr Ungläubigkeit in seinen Ton.
    »Er hatte noch nicht angefangen zu essen«, entgegnete sie.
    Eine Welle des Gelächters ging durch den Saal.
    Beide Seiten riefen danach »Gutachter« in den Zeugenstand, um von ihnen bestätigen zu lassen, daß es möglich, beziehungsweise unmöglich sei, mit einer Gabel einen Menschen zu töten. Mit seiner spöttischen Ungläubigkeit hatte Pickering jedoch erreicht, daß das Hin und Her um die Gabel eher lächerlich wirkte und an Harrold Englishs Absicht zu töten, erhebliche Zweifel aufkamen.
    Nicht weniger ungläubig gab Pickering sich, als die Schießerei selbst zur Sprache kam. Wenn Mrs. English in der Tat um ihr Leben gefürchtet habe, erklärte er bei beiden Verhandlungen, hätte sie doch, nachdem ihr Mann eingeschlafen war, zu dem knapp zweihundert Meter entfernten Nachbarhaus an der Straße hinauflaufen können, um entweder Everett Shedd oder die Polizei in Machias anzurufen, Zeit genug habe sie ohne Zweifel gehabt.
    Statt dessen aber habe sie den bei Dunkelheit durchaus gefährlichen und schwierigen Weg zur Spitze der Landzunge gewählt und sei von dort aus in einem Ruderboot zu Strouts Hummerkutter hinausgefahren, auf dem sie einmal eine Schußwaffe gesehen hatte. Unterwegs hatte sie tatsächlich einmal ernstliche Schwierigkeiten, als sie in der Schlammzone in eines jener tückischen Schlammlöcher geriet, die von den Einheimischen als »Honigpötte« bezeichnet werden.
    Bei ihrer Rückkehr ins Haus hat Harrold English der Aussage von Mrs. English zufolge immer noch geschlafen. Er erwachte erst unmittelbar bevor die Kugel ihn in die Schulter traf. Danach schoß sie noch einmal. Strout, erklärte sie bei Gericht, habe das Haus erst nach den zwei Schüssen betreten.
    In seinem Plädoyer im ersten Prozeß gab Pickering zu bedenken: »Mit der ersten Kugel hatte Maureen English ihren Mann offensichtlich verletzt, wenn nicht völlig aktionsunfähig gemacht. Wenn es ihr wirklich um Notwehr gegangen wäre, hätte sie es dabei bewenden lassen können. Aber sie schoß ein zweitesmal. Sie hatte die Absicht, ihren Mann zu töten.«
    Nicht um Notwehr habe es sich gehandelt, behauptet Pickering, sondern um vorsätzlichen Mord. Mrs. English liebte jetzt Jack Strout – es war unwahrscheinlich, daß ihr Mann, der achthundert Kilometer gefahren war, um sie zurückzuholen, ohne weiteres einer Trennung oder Scheidung zustimmen würde. Sie glaubte keine Alternative zu haben, als sich ihres Mannes endgültig zu entledigen. Daher der schwierige Marsch durch Nacht und Nebel zu dem Hummerboot. Daher die, wie Pickering es ausdrückte, »kaltblütigen« Schüsse, die zum Tod ihres Mannes führten.
    Mrs. English und Jack Strout bestätigten unter Eid, sie seien »befreundet« gewesen, und Strout gab zu, daß er am Morgen des 15. Januars zum Haus hinausgefahren sei, um Mrs. English zu »besuchen«. Auf Pickerings Frage, ob Teil der »Freundschaft« eine sexuelle Beziehung gewesen sei, antwortete die Angeklagte lediglich, zwischen ihr und Strout habe eine Beziehung bestanden.
    Beide sagten aus, Strout habe das Haus Sekunden nach den Schüssen betreten.
    In ihrem an mich gerichteten schriftlichen Bericht war Mrs. English etwas offener. Sie schreibt, Strout betrat das Haus Sekunden bevor sie zwei Schüsse auf ihren Mann abgab. Selbst wenn man die Verwirrung des Augenblicks

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