Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
sagen, das nimmt einen ganz schön mit, wenn dann das unbemannte Boot gefunden wird, das mit laufendem Motor dauernd im Kreis herumfährt. Da weiß man gleich, was es geschlagen hat. Na ja, Billy hat getrunken, er hatte indianisches Blut von seiner Mutter, kann gut sein, daß das das Problem war.
Ich hatte, ehrlich gesagt, nicht den Eindruck, daß Julia allzu bekümmert war über den Verlust. Aber das schreiben Sie besser auch nicht.
Wie dem auch sei, lassen Sie mich Ihnen vom Dorf erzählen.
So um die vierhundert Einwohner. Die jungen Leute, die gehen hier weg, wenn sie so Anfang Zwanzig sind, manche kommen wieder, bleiben dann ein paar Monate hier, versuchen’s noch mal woanders, bis sie schließlich aufgeben und sich für immer hier niederlassen, oder aber nicht mehr zurückkommen. Vier von unseren Jungs hier mußten nach Vietnam, zwei sind gefallen. Ihre Namen stehen auf dem Gemeindedenkmal da drüben. Die meisten jungen Leute hier sind schon in der Hummerfischerei und haben Familie, wenn sie die Einberufung kriegen – und viele von ihnen gehen nicht. Wir haben zwar ein paar Patrioten im Dorf, aber die meisten Leute hier sind der Meinung, daß der Krieg mit uns nicht viel zu tun hat.
Das Dorf wurde irgendwann im 18. Jahrhundert von Franzosen gegründet, die aus Nova Scotia rübergekommen waren, deshalb haben wir auch einen französischen Namen, genau wie Calais und Petit Manan weiter unten im Süden. Im Unabhängigkeitskrieg waren hier mehr Briten als Franzosen, und die wollten dann nach dem Krieg alles Fremde ausmerzen und das Dorf in »Hilary« umbenennen, aber der Name hat sich nie durchgesetzt. Wir haben ein paar Familien im Dorf, die können ihre Wurzeln hier bis zum Krieg zurückverfolgen, andere sind später aus Bangor oder Calais hergekommen. Indianer hat’s hier auch gegeben, aber die leben jetzt in den Reservaten unten bei Eastport. Reservat hört sich gut an, aber in Wirklichkeit sind das triste Wohnsiedlungen aus Schlackenstein, die man nicht anschauen kann, ohne daß einem schlecht wird. Arbeitslosigkeit und Alkohol – es ist eine Schande. Was wir den Leuten angetan haben, mein ich. Aber na ja, ich kann das Problem nicht lösen.
Wir haben eine Bibliothek, die zwei Tage die Woche geöffnet ist. Eine Grundschule. Zur High-School fahren die Kinder nach Machias rüber. Dann die Kirche, das Postamt, mein Laden. Tom Bonney, der vom Hummerfang die Nase voll hatte, hat einen Laden für Boots- und Fischereizubehör aufgemacht, aber der ist gleich wieder eingegangen – die meisten Männer hier machen ihre Körbe selbst, und die Ausrüstung wird vom Vater an den Sohn weitergegeben. Und Elna Coffin wollte eine Muschelbude aufmachen, sie hat gehofft, die Genossenschaft würde sich dran beteiligen, aber wie ich schon sagte, wir sind hier am Ende der Welt, in einer Straße, die nirgendwohin führt, und die Genossenschaft hat nicht mitgemacht.
Die Häuser da drüben, die stammen aus der Zeit, als hier noch Schiffsbau betrieben wurde. Vor ungefähr hundertfünfzig Jahren hat der Bootsbau hier geblüht. Wir hatten auch ein Hotel, aber das ist abgebrannt. Es hat auf der anderen Seite vom Gemeindepark gestanden. Es gab mal eine Zeit, da haben hier im Ort zweitausendfünfhundert Menschen gelebt, auch wenn Sie das nicht für möglich halten möchten. An der Küstenstraße können Sie noch einige der Häuser sehen, viele von ihnen stehen leer. Alte Fischerhäuser und ein paar Bauernhäuser. Zwei von diesen Häusern hier im Dorf sind noch im Familienbesitz, aber die Leute, die drin wohnen, sind bettelarm, im Winter bewohnen die nur ein oder zwei Zimmer, die übrigen Räume machen sie dicht. Eines der anderen Häuser gehört dem Lehrer, und das vierte Julia. Julia gibt sich alle Mühe, das Haus instand zu halten, aber es müßte dringend renoviert werden, das sieht man. Ihre Familie hatte früher etwas Geld, und sie war auch auf dem College. Ihre Mutter hat sie hingeschickt. Die war völlig fertig, sag ich Ihnen, als Julia Billy Strout geheiratet hat. Na, wie gesagt, Julia hatte etwas Geld, bevor Billy es alles durchgebracht hat, aber das Haus ist ihr geblieben und dazu die drei Ferienhäuser. Wir haben im Sommer meistens so um die zwanzig, dreißig Gäste. Das Wasser ist zu kalt, und den meisten Leuten sind wir zu weit oben im Norden. Außerdem sind die Fliegen im Juni eine echte Plage. Trotzdem – Sie würden nicht glauben, was die Leute aus der Stadt zu zahlen bereit sind, nur damit sie mal von allem
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