Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)
Vorhänge hatten ein Karomuster in Giftgrün und Schwarz. Die Wände waren mit dünnen Kunststoffplatten mit Holzmaserung verkleidet. Ich hatte den Verdacht, daß der Gemischtwarenhändler vielleicht etwas übertrieben hatte, als er gesagt hatte, das Zimmer wäre sauber.
Nachdem ich Caroline gestillt hatte, wickelte ich sie, wusch mir die Hände, aß ein Stück von dem abgepackten Kuchen und trank die Milch beinahe so gierig wie Caroline zuvor getrunken hatte. Ans Kopfbrett des Bettes gelehnt, machte ich mir dann ein Bier auf und spülte es hastig hinunter. Flüchtig ging mir der Gedanke durch den Kopf, daß ich eigentlich keinen Alkohol trinken sollte, solange ich stillte, aber es blieb bei dem Gedanken. Caroline lag, mit Armen und Beinen in der Luft rudernd, satt und zufrieden neben mir. Ich nahm ihr die Mütze ab, streichelte ihren Kopf, den warmen Flaum, der sich so wohlig anfühlte. Meine Hände zitterten immer noch. Ich öffnete noch ein Bier, trank es langsamer als das erste.
Ich liebte es, mein Kind zu betrachten. Manchmal war ich es zufrieden, nur das zu tun und sonst nichts. Aber an diesem Abend war die Freude an ihrem Anblick durch dunkle Bilder getrübt, die ich nicht ignorieren konnte. Und diese unerwünschten Bilder zogen andere nach sich, die mich bedrängten. Ich schüttelte den Kopf, als könnte ich sie so vertreiben. Ich stellte die Bierdose nieder, nahm Caroline hoch, zog ihr den Schneeanzug aus und legte sie neben mich in meine Armbeuge. Wenn ich das Kind so halten würde, dachte ich, würden die Bilder vergehen. Das Kind würde mich beschützen, mein Talisman und Glücksbringer sein.
Und ist es möglich, daß ich irgendwann in dieser Nacht das Kind wohlbehalten auf dem Bett zurückließ, ins Badezimmer ging, mich aller meiner Kleider entledigte und in dem Spiegel hinter der Tür meinen Körper und mein Gesicht betrachtete? Ich will Sie nicht mit einer Beschreibung dessen langweilen, was ich sah, auch nicht mit den Gefühlen, die mich bei diesem Anblick in dem nackten, kalten Badezimmer überkamen. Es wird reichen, wenn ich sage, daß mein Körper mit Malen übersät war – Malen in allen Regenbogenfarben, die aussahen wie frisch erblühte Blumen.
Als ich erwachte, sah ich, daß wir beide, Caroline und ich, bei brennendem Licht eingeschlafen waren. Ich drehte die Kleine auf den Bauch und baute ihr mit Kissen und meiner Reisetasche ein sicheres kleines Nest. Selbst wenn sie aufwachen sollte, konnte da nichts passieren – sie war noch keine sechs Monate alt und krabbelte noch nicht.
Ich band mir meinen Schal um, schlüpfte in Mantel und Handschuhe, vergewisserte mich, daß ich die Schlüssel hatte, und ging in die Nacht hinaus. Die Luft war in Kälte erstarrt – jeder Atemzug schmerzte. Die Leuchtschrift des Gateway , die bei meiner Ankunft geleuchtet hatte, war jetzt dunkel. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war. Ich hatte keine Uhr bei mir. Ich ging bis zum Rand des Parkplatzes, überquerte die Straße und ging in den Wald hinein. Ich konnte mich nur auf den Sternenschein und das Licht einer mageren Mondsichel verlassen, um die Tür zu meinem Motelzimmer im Auge zu behalten.
Ich berührte die spitzen Nadeln einer beinahe unsichtbaren Kiefer. Schon begann mir die Kälte in die Stiefel zu kriechen. Ich glaubte, in der dünnen Luft das Meer riechen zu können oder den würzigen Geruch von Salzwiesen bei Ebbe. Aus weiter Ferne hörte ich den Schrei einer Möwe oder irgendeines anderen Tieres, eines nicht menschlichen Geschöpfs.
Ich fühlte mich innerlich wie ausgehöhlt. Ich war immer noch hungrig, trotz des Kuchens, den ich gegessen hatte. Als ich zum Motel zurückblickte, schien mir mein Kind weit weg zu sein. Die Wahrnehmung der Entfernung traf mich überraschend, geradeso als hätte ich soeben entdeckt, daß das Schiff, auf dem ich mich befand, sich vom Dock wegbewegte. Ich sah ein zorniges, starres Gesicht, eine Frau, die mit abwehrend erhobenen Armen rücklings gegen die Wand prallte. Ich hörte einen Säugling schreien und war im Moment verwirrt: Kam das Schreien aus dem Motelzimmer oder aus dem Wachtraum?
Ich mußte plötzlich an eine Frau denken, die, als Caroline geboren worden war, im Kreißsaal in der Kabine neben mir gelegen hatte. Ich hatte ihr Gesicht nicht gesehen, aber ich hatte niemals die Schreie aus ihrem Zimmer vergessen, unheimlich, markerschütternd wie die eines Tieres in Todesangst, und wenn ich nicht gewußt hätte, daß diese Schreie, dieses Heulen nur aus dem
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