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Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Gefesselt in Seide: Roman (German Edition)

Titel: Gefesselt in Seide: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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vorüberkam, mit scharfem Blick. Es konnte ja sein, daß das Motelschild noch nicht erleuchtet war. Es zeigte sich, daß ich einfach zu früh aufgegeben hatte. Das Motel war etwa anderthalb Kilometer hinter der Stelle, an der ich zuvor gewendet hatte. Das Wort Gateway leuchtete mir in grünem Neonglanz entgegen. Als ich den Wagen endlich auf den Parkplatz bugsiert hatte – er war nicht geräumt, und der Wagen schlingerte in der Kurve –, schrie Caroline wie am Spieß. Ich hielt vor dem einzigen erleuchteten Fenster an.
    Die Eigentümerin des Motels war eine übergewichtige Frau, in eine Frauenzeitschrift vertieft, als ich hereinkam. Sie drückte ihre Zigarette aus und hob den Kopf. Auf ihrem pinkfarbenen Pulli klebte ein Tropfen Ketchup oder Tomatensoße. Das braune, von Grau durchsetzte Haar krauste sich in festgedrehten kleinen Löckchen, an den Schläfen hatte sie sich zwei »Sechser« gelegt, die mit gekreuzten Haarklemmen befestigt waren. Auf dem Tresen vor ihr standen die Reste eines Fertiggerichts. Aus der Ferne glaubte ich die Geräusche eines Fernsehers und Kinderstimmen zu hören.
    Die Frau atmete durch den geöffneten Mund, als hätte sie eine von einer Erkältung verstopfte Nase. Sie schien außer Atem.
    »Ich hab schon auf Sie gewartet«, sagte sie. »Everett hat mich angerufen und mir gesagt, daß Sie kommen. Das war vor fast einer Stunde.«
    Das überraschte mich. Ich wollte erklären, warum ich nicht früher angekommen war, aber sie unterbrach mich.
    »Ich hab nur Zimmer mit jeweils zwei Einzelbetten«, sagte sie. Dann wandte sie sich wieder ihrer Illustrierten zu und beugte sich über einen Artikel, als wollte sie ihn nach der Störung durch mich um so aufmerksamer lesen.
    »In Ordnung«, sagte ich. »Wieviel kostet das Zimmer?«
    »Zwölf Dollar. Im voraus.«
    Sie knallte einen Schlüssel auf den Tresen, schob mir Register und Stift zu, murmelte wie aus weiter Ferne die Wörter »Name und Adresse«.
    Caroline begann zornig weinend in meinen Armen zu strampeln. Während ich sie an meiner Schulter wiegte, nahm ich den Stift. Ich wußte, daß ich jetzt nicht zögern durfte, wenn ich mich nicht verraten wollte. Ich mußte mir jetzt einen Namen geben. Ich drückte den Stift auf das Papier und begann langsam zu schreiben, im Schreiben erfindend: »Mary Amesbury, 425 Willard Street, Syracuse, New York«. Ich wählte den Namen Mary. Meine Tante hieß so. Doch während ich das »M« bildete, dachte ich an andere Namen: Hätte ich mir nicht einen Namen gewünscht, der interessanter war als mein eigener? Alexandra vielleicht oder Noel? Aber die Vernunft, die praktische Notwendigkeit der Anonymität, hielt mich davon ab, ein »A« oder ein »N« niederzuschreiben.
    Das Amesbury kam mir ohne bewußte Überlegung. Es war der Name eines Orts, an dem ich auf meiner Fahrt an diesem Tag vorübergekommen war. Ich wußte nicht, ob es eine Willard Street 425 gab. Ich war nie in Syracuse gewesen.
    Ich legte den Kugelschreiber nieder und blickte auf die schwarze Schrift im Register. Das wär’s, dachte ich. Das ist die, die ich von jetzt ab bin.
    »Wie heißt das Kleine?« fragte die Dicke, während sie das Register herumdrehte und meine Eintragung musterte.
    Die Frage brachte mich einen Moment aus der Fassung. Ich öffnete den Mund. Ich war nicht fähig zu lügen, ich konnte meinem Kind nicht einen Namen geben, der nicht zu ihm gehörte. »Caroline«, antwortete ich, das Gesicht in den Nacken meines Kindes gedrückt.
    »Ein schöner Name«, sagte die Dicke. »Eine Nichte von mir heißt auch Caroline. Sie wird immer nur Caro genannt.«
    Ich bemühte mich zu lächeln, nahm mein Kind auf den anderen Arm und legte zwölf Dollar auf den Tresen.
    »Nummer zwei«, sagte die Dicke. »Die Heizung ist seit einer Stunde an. Ich hab auch ein paar zusätzliche Decken reingelegt. Wenn Sie trotzdem frieren, sagen Sie mir Bescheid. Heute nacht soll es eiskalt werden.«
    Im Zimmer schloß ich die Tür ab. Ich setzte mich auf eines der Betten, machte Mantel und Bluse auf und stillte meine Kleine. Sie trank gierig mit kleinen Schmatzgeräuschen. Ich schloß die Augen und neigte meinen Kopf nach hinten. Hier findet mich keiner, dachte ich und atmete tief auf.
    Nach einer Weile machte ich die Augen wieder auf und betrachtete Caroline. Sie hatte immer noch ihren Schneeanzug und die Wollmütze an. Es war bitterkalt.
    Das Motelzimmer wirkte trotz der eingeschalteten Deckenbeleuchtung dunkel und bedrückend auf mich. Bettüberwürfe und

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